Der unsichtbare Killer
die menschliche Rasse darstellen.«
»Er kennt den Grund, aus dem diese spezielle Waffe geschaffen wurde, und die Umstände, unter denen man sie einsetzt. Sie können sich auf ihn verlassen.«
Sid machte sich keine Sorgen, dass er den Einsatz der Applikator-Röhrchen vermasseln könnte. Er war auch zuversichtlich, dass er in den Spind gelangen würde, in dem Boz seine Kleider aufbewahrte, während er zu seinem regelmäßigen abendlichen Training an die Maschinen des Fitnessstudios ging. Aber schon Sids pure Anwesenheit in einem Fitnessstudio war der Haken an diesem Plan. Jedes Mitglied des Fitnessstudios und jeder Stammkunde, der ihn sich anschaute, würde sofort erkennen, dass er nicht hierhergehörte, dass er ein Eindringling war. Die Kunden von Regency Fitness würden sich fragen, was er machte. Sich erkundigen, weshalb er einen Spind öffnete – faule Säcke wie er mussten sich nicht umziehen, weil sie nicht trainierten. Sie würden einen Aufruhr veranstalten, vielleicht sogar den Sicherheitsdienst oder gar die Polizei rufen. Es würde alles katastrophal schiefgehen, weil er wie jeder Mann im mittleren Alter mit einem echten Job nicht so sehr auf seine Ernährung achtete, wie er es hätte tun sollen, und auch nicht ordentlich Sport trieb. Dieser Lapsus würde ihn nun fest in den Hintern beißen.
»Bist du in Ordnung?«, fragte Ian über die abgeschirmte Verbindung.
»Bestens.«
»Es ist niemand im Umkleideraum. Ich habe das ganze Fitnessstudio auf dem Schirm.«
»Ich weiß.« Sid fluchte auf die ganze Sache und die Paranoia, die sie in ihm ausgelöst hatte. Fitnessstudios waren Ians natürlicher Lebensraum. Er hätte hier drinnen sein sollen, während Sid in der Wohnung zurückblieb und für die elektronische Deckung sorgte. Aber nein – Sid wollte zeigen, dass er bereit war, das gleiche Risiko wie jeder sonst auf sich zu nehmen. Also war er vorgegangen.
Regency Fitness war ein Fitness- und Lifestyle-Unternehmen, das sich im Herzen der Fortin-Singletown befand. Der Umkleideraum der Männer war riesig und hell erleuchtet, ohne dunkle Farben. Die Spinde waren mit Holz verkleidet, und an einer Wand voller Fächer befanden sich flauschige, frische Handtücher für den mit Marmor gefliesten Duschraum. Er war jetzt seit dreißig Sekunden hier drinnen, und Ian hatte recht, er war der einzige Anwesende. Im Netzwerk des Fitnessstudios waren gerade sieben Männer registriert, die die Einrichtung nutzten. Also waren wohl sieben der fünfzig Spinde belegt.
Sid ging rasch die Reihe durch und fand die erste verschlossene Tür. Die Spinde hatten simpel verschlüsselte Schließ-Pads. Er befahl seiner E-I, das Pad mit dem Subber zu untersuchen, den er vor ein paar Jahren bei einer Festnahme aus dem Speicher eines Bytegirls kopiert hatte. Es sprang auf. Er betrachtete die Kleider, die drinnen gestapelt lagen.
»Nicht seins«, sagte Ian; der sich in die visuelle Übertragung aus Sids Iris-Smartzellen eingeklinkt hatte.
Sid schloss den Spind und ging zum nächsten. Der vierte, den er öffnete, gehörte Boz; diese Klamotten in Übergröße waren unverkennbar. Er zog das Applikator-Röhrchen aus der Tasche; es war so groß wie ein Streichholz und aus poliertem, rostfreiem Stahl. Als er damit den Absatz von Boz’ Schuh berührte, löste seine E-I das Abschusssystem aus. Eine Smartmikrobe wurde freigesetzt, ihre klebrige Molekül-Oberfläche heftete sich an das dunkle, gummiartige Polymer des Absatzes. Sie würde dort unbeweglich verharren und die Emissionen aus Boz’ Verbindungen passiv aufzeichnen, jederzeit bereit, sie auf Befehl herunterzuladen. Mit ihrem auf Quantenverbindungen basierenden Aufbau war sie klein und neu genug, um für gewöhnliche Detektionssysteme unauffindbar zu sein, sogar die finsteren Tech-Barone von Peking hatten nichts, womit sie sich wirkungsvoll abwehren ließen, hatte Ralph gesagt.
Sid schloss die Tür und verließ das Makrogebäude.
Mittwoch, 27. März 2143
Es war zwei Uhr nachts, und dies war definitiv der letzte Einsatz für heute. Nach einem Abend, an dem er die Straßen nach den bekannten Fahrzeugen aller Mitglieder aus Shermans Crew durchforstet hatte, war Ian müde. Ein unabsichtliches Streifen im Vorbeigehen, ein kurzes Klopfen mit dem Applikator-Röhrchen, ohne langsamer zu werden. In der Abgeschiedenheit seines eigenen Autos Identitätsmasken wechseln und sich in und aus Klamotten schälen, sodass keine von Shermans visuellen Routine-Analysen sie über die Sicherheitsmeshes
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