Der unsichtbare Killer
einen. Er war da, so wie sie immer gewusst hatte, dass er es sein würde. Älter natürlich, im Gegensatz zu ihr. Das dürfte ihn sicherlich fuchsen, überlegte sie nicht ohne eine gewisse Befriedigung. Damals war er nicht einmal irgendwer von Bedeutung gewesen; ein junger Speichellecker, mehr nicht. Aber sie hatte gewusst, dass er eines Tages jemand sein würde. Er war genau dieser widerliche, zielstrebige Typ, der nur eine Richtung kannte, nämlich nach oben.
Sie fixierte ihn, um seine Reaktionen zu erforschen, suchte nach Anzeichen für den emotionalen Konflikt, den ihre neuerliche Nähe hinter seinen eiskalten, braunen Augen entfachte. Langsam und wohlkalkuliert teilte sie ihre Lippen zu einem freudlosen Lächeln. Es war der reine Spott, und er würde das wissen. Als Antwort erhielt sie ein kleines Aufblitzen von Wut, die er rasch zu verbergen versuchte. Ihr Lächeln wurde daraufhin breiter.
Einer der Zivilisten, irgendein hochrangiger Drecksack von Regierungsanwalt, fing an, ihr etwas von einer möglichen Veränderung ihrer Situation zu erzählen. Seine Stimme brummte so quälend eintönig wie eine Fliege am Fenster. »… ohne Ihre rechtliche Lage präjudizieren zu wollen …« Sie hörte ihm kaum zu. »… würde die volle Kooperation bei einer laufenden Ermittlung als ein Entgegenkommen betrachtet werden …« Es war Vance Elston, der sie interessierte. Vance Elston, den sie in Ungewissheit und Reue sich krümmen und winden sehen wollte. »… können wir leider keine Garantie bieten …« Vance Elstons arrogante, selbstgerechte Visage, heulend vor Angst und Entsetzen, wenn er am Ende dem grauenhaften Monster gegenüberstand, dessen Existenz er so vehement versucht hatte zu leugnen.
Angela hob ihre Hand, und der Anwalt verstummte. Alle sahen sie mit unruhiger Erwartung an. Doch immer noch war der Einzige, den sie anblickte, Elston. Ein Hauch von Triumph schwang in ihrer Stimme, als sie ihn fragte: »Es ist zurückgekommen, habe ich recht?«
Ian und Sid wechselten sich den ganzen Nachmittag in der Zone-Kabine ab. Um sechs Uhr dreißig an jenem Abend hatten sie den Tyne bis nach South Benwell am Nordufer und den Viadukt über den Fluss Derwent hinauf abgedeckt, wo dieser am Südufer in den Tyne mündete. Das war ein gutes Stück weiter flussaufwärts, als der Gezeitenstrom eine Leiche in zwei Stunden befördert haben konnte, aber Sid wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Alles in allem fanden sie elf potenzielle Lücken in der Netzüberwachung, die meisten davon wesentlich größer als die erste am Träger der Tyne Bridge. Nachdem sie die komplette Dunston Marina inspiziert hatten, hielt Sid sie für den wahrscheinlichsten Ort; es lagen dort so viele Boote, dass etliche von dem lokalen Netz gar nicht vollständig erfasst wurden.
»Elf?«, fragte Eva, als Ian mit der letzten Sektion durch war. »Da haben wir ja was vor uns. Und wir haben auch noch einen Tag verloren, da wird nicht mehr viel Beweismaterial zu finden sein.«
Sid gähnte und reckte die Arme. Vor ihm zeigte einer der Wandmonitore eine einfache Karte mit sämtlichen elf Leerstellen. »Nicht mein Problem.«
Ian kam aus der Zone-Kabine. »Hast du wenigstens Vollmacht, die Bereiche abzusperren?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, gestand Sid. »Ich muss O’Rouke fragen.« Wozu er eigentlich wenig Lust hatte. Er schwenkte auf seinem Drehstuhl herum. »Abner?«
Die beiden Norths sahen sich an. »Nein, sorry, Boss«, erwiderte Abner.
»Ernsthaft, Mann, nicht einen einzigen Namen?«
»Die Genprobe bestätigt, dass er ein 2er ist«, sagte Ari. »Wir haben persönlich mit unseren sämtlichen Brüdern gesprochen. Wir haben alle ausmachen können.«
»Also war er ein B oder ein C«, konstatierte Sid.
»Muss wohl«, stimmte Ari zu. »Aber Brinkelles Organisation versichert, dass keiner ihrer 2er vermisst wird.«
»Und Jupiter?«
»Aldred hat mit Augustine gesprochen. Constantine wurde eine Nachricht geschickt. Er behauptet, es befänden sich keine C2er auf der Erde.«
»Das ist doch Bullshit«, fuhr Ian Abner und Ari an. »Ihr verheimlicht doch was.«
Abner erhob sich und kam zu Ian herüber, der keinen Zentimeter zurückwich. »Einer meiner Brüder wurde ermordet, Sie mieses, kleines Arschloch.«
»Das reicht!«, intervenierte Sid.
Ian und Abner starrten sich gegenseitig an. Jeden Moment würden Fäuste fliegen. Die internen Sensoren und das offizielle Log waren den beiden völlig egal. Sid war klar, dass er, bevor die Fallakte geschlossen und
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