Der unsichtbare Kreis
Randaik. »Was ist hier nur los?«
»Warum begreifen Sie nichts?« fragte höflich eine unbekannte, aber angenehme Stimme. »Es ist doch so einfach. Ich habe die Klimaanlage umgeschaltet.«
Ihre Köpfe ruckten herum. Neben der verschlossenen Zimmertür stand die Shakespearestatue aus der Hotelhalle. Ein Lächeln überflog das ernste Gesicht. »Ich kontrolliere alle automatischen Einrichtungen.« Sein Bronzemund formte die Worte mit Anmut. »Sie sind von jeder Hilfe abgeschnitten, das Haus ist hermetisch verschlossen.«
Die Statue zerfiel, und ein Häufchen Staub blieb auf dem Fußboden zurück.
Ungläubig blickten sich die beiden Freunde an. Da erhellte sich die Bildscheibe, der Kopf eines Unbekannten erschien. Er hatte hagere, fast fleischlose Züge, Mund und Kinn waren von einem schütteren, weißen Bart umrahmt.
»Typisch für ihn«, sagte der Alte. »Wieder einmal will er edel die Schuld auf sich nehmen. Solange ich ihn kenne, brüstet er sich damit, dem Lauf von Zeit und Welt nach seines dichterischen Genius Willkür zu befehlen. Dabei ist das einzige Geräusch, mit welchem er die Welt erschüttert, das Kratzen seiner Feder. Glauben Sie ihm kein Wort. Ich bin für alles verantwortlich, ich allein.« Er lächelte boshaft, und das Bild verschwand.
»Ein Verrückter«, bemerkte Volmar und schickte sich an, sich in seine Decke zu verkriechen.
In diesem Moment brachen die Energiekissen zusammen. Die beiden Freunde fanden sich auf dem Fußboden wieder. Volmar rieb sich den schmerzenden Ellenbogen.
»Es ist ein Skandal«, rief Randaik. »Wie können unsere Ruhefelder zusammenbrechen? Worauf sollen wir nun schlafen?«
Mit einem Schwall eisiger Luft drang ein fernes Gelächter zu ihnen.
»Wir müssen nach den andern sehen«, rief Randaik. »Wer weiß, was dieser Verrückte noch fertigbringt.«
Als er die Tür aufstieß, stockte er. Die weißen Wände des Ganges waren mit Eiskristallen bedeckt.
Fast gleichzeitig öffneten sich links und rechts von ihnen die Türen, und mit verstörten Gesichtern traten Sophia und die andern drei Freunde aus den Zimmern.
»Wir werden uns bei der Hotelleitung beschweren«, sagte Sophia. Sie strich sich über ihre langen Haare und wand sie im Nacken zu einem Knoten zusammen. In dem engen Overall sah sie nun fast fertig angezogen aus. Randaik war dankbar, als ihm Volmar einen Morgenmantel reichte, mit dem er seinen Pyjama verdecken konnte.
»Was für ein schlampiges Hotel«, rief Lewis. »Laut Anordnung müssen die Ruhelager fünffach abgesichert sein. Es ist unmöglich, daß sie zusammenbrechen!« Er hinkte etwas, als er in den Gang trat. »Das Gesetz zur Aufrechterhaltung von Lebensfreude und Optimismus ist schließlich nicht zum Spaß da. Es ist eine unzulässige Definition von Sparsamkeit, eine oder zwei Sicherheitsstufen wegzulassen!«
Hinter Lewis erschienen, zerzaust und übellaunig, Troels und Gonzales, seine beiden Zimmergenossen. Sie hüllten sich fröstelnd in ihre Morgenmäntel.
»Verfluchte Geschichte«, sagte Gonzales. »Wer ist nur auf die Idee gekommen, in diese Gegend zu fahren? Kein normaler Mensch macht in Schottland Urlaub.«
»In der Tat«, bemerkte eine sanfte Stimme in ihrem Rücken. »Das Hotel ist verflucht. Es steht auf blutgetränktem Boden.«
Als die sechs Freunde herumfuhren, sahen sie am Ende des Ganges den weißbärtigen Alten stehen.
»Sie?« schrie Lewis. »Wir werden dafür sorgen, daß man Sie zur Rechenschaft zieht! Sofort bringen Sie die Klimaanlage in Ordnung.«
Der Alte kicherte nur und rührte sich nicht von der Stelle.
»Wie können Sie so gemein sein?« rief Sophia. »Das ist unser erster Urlaubstag!«
Der Alte brach in meckerndes Gelächter aus.
Voller Wut warf Volmar seinen Schlüssel nach ihm. Noch bevor das Geschoß sein Ziel erreichte, war der Alte verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Ihre Verblüffung dauerte nur einen Moment, dann ließ die Kälte sie hastig zum Aufzug eilen. Erleichtert atmeten sie auf; wenigstens die Gravitationsplatte funktionierte. Sie warteten, bis die Plattform in ihrer Etage angelangt war.
»Es ist nicht nötig, daß wir alle gehen«, sagte Volmar. »Wer weiß, was sich hier oben tut, wenn wir alle verschwinden. Randaik und Sophia werden zur Hotelleitung gehen und sofortige Abhilfe verlangen.«
Weshalb grinst er so, dachte Randaik. Doch als er Volmar genauer musterte, sah er, daß dessen Mund ernst war. Der Ausdruck mußte in seinen Augen liegen. Sophia ging voraus. Randaik warf Volmar einen
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