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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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zarter noch nahm sie ihn in sich auf. Nie hatte er sich so vollständig in eine Sehnsucht verloren. Sein Körper brach auf, sein Innerstes lag bloß, und sie verschloß die grauenhafte Wunde, wuchs in ihm ein, untrennbar.
    Durch das Fenster sickerte fahldiffuses Licht. Am Neptunhimmel standen beide Monde. Aus dem Halbdunkel hob sich ihr Gesicht mit gespenstischer Klarheit. Jeder Teil ihres Körpers war die Absicht einer göttlichen Idee.
    Erschöpft und schlaff und voller Erstaunen sank er zurück. Wie war es dazu gekommen? Er fürchtete, ein Wort nur, eine Bewegung könnte das zerstören.
    »Bist du zufrieden?« fragte sie.
»Soweit bist du Mensch?«
»Ich bin die Summe deiner Wünsche und Erinnerungen.« »Was empfandest du?«
»Könnte ein Mensch dem andern das erklären?« Er schwieg.
»Wie soll ich es können?«
Sein Blick löste sich von ihr. Vor seinen Augen entstand das
    Bild dünn wirbelnder Schneeschleier, in deren Tiefe sich die schmale Silhouette Keméles verlor. Er floh – wie einem allmählichen grausamen Tod – dem langsamen Entschwinden, kehrte zu ihrem Antlitz zurück. Doch vermochte er nur darin zu lesen, was in ihm selbst verborgen lag.
Tief und traumlos schlief er.
    Der folgende Tag erfüllte ihn mit unruhiger Anspannung. Er fühlte sich nur zu den notwendigsten Verrichtungen fähig Sie verfolgte seine Arbeit mit Interesse, stellte Fragen.
    Am Nachmittag begleitete sie ihn, durch nichts geschützt als durch ihr Kleid, zu den Meßstellen. Ihn hüllte der schwere Panzer ein. Das Bild mutete grotesk an.
Als Stroganoff anrief, schob er sie wieder in den toten Winkel. Widerstrebend nur gab sie diesmal nach.
    Einen Augenblick lang spielte Djagganaut mit dem Gedanken, nicht zu antworten, den Ruf zu ignorieren. Doch es würden keine zwei Stunden vergehen, dann hätte er sie auf dem Hals. Er drückte auf die Taste, als wollte er sie zerquetschen.
    Stroganoff plauderte aufgeräumt und ohne Groll. Djagganauts Gesicht verschloß sich aus Abwehr gegen die aufdringliche Heiterkeit. Es war ein Zwang, der alles einschloß, was Stroganoff von ihm trennte. Trauerte er darum? Beneidete er ihn? Worum? Hatte er nicht in dieser Nacht die glücklichsten Stunden seines Lebens erlebt?
    Widerstrebend ließ er sich von Stroganoffs unbeschwerter Plauderei umgaukeln. Seiner wehmütigen Stimmung verhaftet, fürchtete er Fragen, den Zwang des Antwortenmüssens. Er hätte viel lieber jeden Augenblick mit ihr ausgeschöpft, jeden unwiederholbaren Moment.
    Unkonzentriert hörte er der Beschreibung von Stroganoffs Alltäglichkeiten zu. Seine Hände krochen auf den Schalttisch, lauerten über der Taste. Er schrie: »Hör endlich auf mit dem Gewäsch. Was willst du denn von mir? Willst du mir beweisen, daß dein Leben besser gewesen ist als meins? Warum denn? Ich habe mich nie gescheut vor der letzten Wahrheit. Aber du bist ihr stets ausgewichen. Du hast dich in irgend etwas treiben lassen. Auf der Suche nach dir!« Er war ungerecht, aber erbittert sagte er: »Ich Narr habe dich einmal bewundert.«
Stroganoff lächelte. Seine Augen durchsuchten den Raum hinter Djagganaut, streiften ihn freundlichdurchdringend.
    »Du bist nervös. Deine Flucht hat dir nichts gebracht. Sie verfolgt dich, deine Frage. Du solltest dich ihr stellen.«
Djagganauts Lachen war fast beleidigend. »Ich bin Forscher. Ich bin es gewohnt, Probleme bis in ihre winzigsten Bestandteile aufzulösen, und ich mache keinen Unterschied, keinen.«
»Das dachte ich mir«, sagte Stroganoff kühl. Die Schärfe in seinen Worten war unüberhörbar. »Hast du jemals daran gedacht, in dir selbst ein Problem zu sehen?«
Plötzlich wußte Djagganaut, daß er unausweichlich antworten mußte, wenn er das Gespräch nicht abbrach. In dem Augenblick, da er sein störrisches Nein aussprach, wurde ihm klar, daß genau das ihn Stroganoff auslieferte. In Erwartung des unbarmherzigen Gegenschlages duckte er sich.
Stroganoffs Kopfschütteln drückte ein unbegreifliches Verstehen aus. »Nichts«, sagte er leise, »nichts berechtigt dich, andere Menschen zu belästigen, mit Fragen, mit deiner Gegenwart – wenn du zu feige warst, bei dir selbst anzufangen.«
Djagganaut starrte in Stroganoffs Gesicht, und mit einemmal verspürte er für diese Augen, diese Stirn, diese Wangen eine liebevolle, streitbare Zuneigung.
    Die Hand schwebend über der Taste, überwältigte ihn das Verlangen, um Verzeihung zu bitten. Zu spät registrierte er das Erstaunen in Stroganoffs Zügen. Er wußte, hinter ihm

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