Der unsichtbare Kreis
Urlaubsgestaltung, an Stelle des alten Schlosses unseren Werktätigen ein mit allem Komfort ausgestattetes Luxushotel zu errichten.«
An dieser Stelle konnte sich Randaik ein ironisches Grinsen nicht versagen. Die heutige Nacht war ohne Zweifel etwas Einmaliges.
Die Chefin ignorierte seinen stummen Kommentar und fuhr fort: »Die Ruine wurde planiert, unmittelbar daneben begann die Arbeit am Neubau. Wenn man den Berichten Glauben schenken wollte, so geschahen damals bereits merkwürdige Dinge. Die Plast- und Betonmassen, die man zum Bau benötigte, sollen oft vor der Zeit ausgehärtet sein. Ganze Maschinenanlagen warf man zum Schrott, da sie über Nacht unerklärliche Alterungserscheinungen zeigten.«
»Wenn Sie mich fragen«, warf der Ingenieur ein, »war das nichts weiter als eine Schlamperei der Bauleitung. Mit dem Gerede wollte man die eigene Unfähigkeit vertuschen.«
Die Chefin winkte ab. »Schließlich war das Fundament fertig. Doch am nächsten Morgen, stellen Sie sich vor, war es mit Gras überwuchert und überhaupt in einem Zustand, als wäre es zweitausend Jahre alt.« Die Chefin bewegte matt die Hand. »Also begann man von vorn. Endlich wurde das Hotel fertig. Gleich im ersten Jahr setzten jene eigenartigen Erscheinungen ein, die zu beobachten Sie heute Gelegenheit hatten. Man hielt alles geheim und entließ, wegen Vernachlässigung der Dienstpflichten, den damaligen Direktor des Hauses. Dem zweiten erging es nicht besser. Ich selbst bin seit drei Jahren hier.« Vorwurfvoll blickte die Chefin ihre Gäste an. »Seither waren keine besonderen Vorkommnisse zu melden. Und nun… Zum Glück sind Sie unsere einzigen Besucher.«
Randaik und Sophia blickten sich an.
»Eine Spukgeschichte?« sagte Sophia ungläubig.
»Wurden die Vorgänge nie untersucht? Versuchte man niemals, der Sache auf den Grund zu gehen?«
Die Chefin lächelte Randaik freundlich an. »Man schenkte den Schilderungen des Personals und selbst der Gäste keinen Glauben. Die Angestellten wurden gegen bewährte Leute ausgetauscht.«
»In der Tat, es klingt ungeheuerlich«, bemerkte der Ingenieur. »Es muß sich um eine ungewöhnliche Störung im kybernetischen System handeln. Der Hersteller streitet natürlich ab. Am Ende ist es die Unfähigkeit des technischen Wartungspersonals. Ich stehe allein einem kybernetischen Phänomen gegenüber.« Er wirkte verbittert.
»Aber es muß sich doch eine Erklärung finden lassen«, rief Sophia.
»Natürlich«, antwortete jemand.
Auf der weißen Platte des Arbeitstischs der Chefin stand, etwa fünf Zentimeter groß, der weißbärtige Alte. Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete er die Riesen. Er schüttelte sich vor Lachen.
Randaik musterte ihn. Er war sicher, daß es sich um eine geschickte 3-D-Projektion handelte.
»Sie sind unverschämt«, sagte er kalt. »Wer sind Sie? Wo finden wir Sie?«
Das Gesicht des Alten verlor den spöttischen Zug, er verneigte sich und sagte: »Ich heiße Doktor McLaugham. Ich wurde vor etwa vierhundertfünfzig Jahren in der Stadt Devonshire geboren. Zur Zeit befinde ich mich dreißig Meter tief unter der Erde.«
»Hören Sie auf, uns etwas vorzuflunkern«, sagte Sophia vorwurfsvoll.
Zwischen zwei Atemzügen war der Alte verschwunden. In normaler Lebensgröße erschien er in einer Ecke des Raums. In seinen Zügen lag Wehmut. Nachdenklich sagte er: »Ich wußte, daß auch Sie mir nicht glauben würden. Seit vierhundert Jahren suche ich nach Menschen, die mir helfen.« Seine Stimme wurde leiser. »Ich hatte gehofft, mit der neuen Zeit würde alles besser. Was bin ich doch für ein Narr. Vierhundert Jahre, aber nichts ist anders geworden.« Er deutete auf die Chefin. »Sie interessieren sich nur für Erfolgsmeldungen. Und Sie«, er wies auf den Ingenieur, »reden sich mit einer technischen Störung heraus. Ja, ich verstehe, Sie wollen alle Ihre Ruhe haben.«
»Sie tun uns unrecht«, sagte Sophia.
»Mir hat man unrecht getan!« rief der Alte.
»Hören Sie auf«, sagte Randaik. »Beinahe hätten Sie uns umgebracht. Ich halte Sie für einen Verbrecher.«
»Ich selbst fiel einem Verbrechen zum Opfer.«
»Dann wenden Sie sich an die Grünen Kyberneten. Wenn Ihr Problem deren Programm überfordert, wenden Sie sich an das Institut.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Sie wollen mich nicht verstehen. Ich werde wohl noch warten müssen.«
Randaik fragte sich, warum er nach all dem Ungemach dem konfusen Gerede zuhörte. Vermutlich steckte hinter der Geschichte nichts weiter als ein Betrug.
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