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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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als er seine Stütze losließ, trugen seine Beine ihn nicht, und er mußte sich rücklings aufs Bett fallen lassen. Dann richtete er sich erneut auf, ergriff die Krücken und klemmte sie sich unter die Achseln. Hastig und unbeholfen schwankte er auf das Kommandopult zu. Sein Atem ging keuchend, Schweiß rann ihm den Rücken hinunter. Am liebsten hätte er sich die Kleidung vom Leib gerissen. Dicht vor seinem Ziel wäre er fast gestürzt. Er warf sich gegen das Pult, seine Finger fuhren unsicher über die Tastatur. Er regelte die Schwerkraft auf ein Zehntel »g« zurück. Augenblicklich verschwand die Last seines Körpers, er spürte sein eigenes Gewicht kaum noch.
Samuel war leicht wie eine Feder. Otis trug ihn zu seinem Lager, bettete ihn vorsichtig auf den Rücken und öffnete ihm das Hemd. Samuel atmete schwer, Speichel rann ihm aus dem Mundwinkel. Behutsam wischte Otis ihm das Gesicht sauber. Dann hinkte er hinüber zum Computer. Es dauerte endlose Sekunden, bis er die Diagnose hatte. Ungläubig starrte er auf die Karte: Schwerer Strahlenschock, medikamentöse Unterdosierung, sofortige Behandlung mit mindestens dreizehn Millionen Einheiten.
Im Arzneischrank fand er noch zwei Millionen. Wahllos räumte er die Fächer aus, um das Impfgerät zu finden, verstreute Tuben und Schachteln achtlos auf dem Boden. Dann fand er es in einem Seitenfach.
Nachdem er Samuel das Medikament verabreicht hatte, blieb er neben ihm auf dem Bett sitzen.
Es mochten Stunden vergangen sein. Der Diagnosecomputer forderte eine weitere Behandlung.
Ein geringer Schmerz flackerte in seinen Beinen und im Brustkorb auf. Otis achtete nicht darauf. Ab und zu warf er einen Blick auf den Bewußtlosen, dann schloß er die Augen wieder. Gedankenlos und stumpf saß er da, und als nach Längerem eine leichte Regung im Gesicht des Gefährten ihn aufmerksam werden ließ, kam es ihm vor, als wäre er aus einem traumlosen Schlaf erwacht.
Samuel schlug die Augen auf. Ein schwaches Lächeln belebte sein Gesicht. Erstaunt fragte er: »Was ist los? Hab ich schlappgemacht?« Otis verbot ihm das Sprechen.
Seufzend schloß Samuel die Augen. »Red schon«, flüsterte er, »du hast doch was auf dem Herzen.«
»Du hast mich angelogen.«
»Richtig«, erwiderte Samuel ungerührt. »Kranken muß man nicht die Wahrheit sagen.«
»Aber ich werde dir jetzt die Wahrheit sagen.«
»Kannst du dir sparen, sie ist nicht neu für mich.«
»Warum hast du das getan?«
»Ich soll nicht sprechen, sagtest du.«
»Strengt es dich sehr an?«
»Es geht mir jetzt ganz gut. Die Wirkung wird nicht lange anhalten. Es ist also egal. Es sei denn, sie fänden uns in den nächsten Stunden. Doch damit ist wohl nicht zu rechnen.«
Otis wagte es nicht, zu nicken. Er wußte, daß der Freund auf grausame Weise recht hatte. Das Wunder, auf das sie hofften, würde nicht eintreten; das Medikament konnte Samuel nicht helfen, es war zuwenig, viel zuwenig. Der Tod nahm einen kleinen Umweg, aber er würde kommen – ein wenig später.
In Otis stieg eine unsichere Ahnung von dem Kommenden hoch. Die Angst, dem nicht gewachsen zu sein, verwirrte ihn. Er vermochte nicht, den Freund weiter anzusehen, dessen von Bartstoppeln überwuchertes Gesicht sich vom Laken abhob wie eine dunkle Wolke am Firmament. Das Blau der Decke, unter der sich Samuels schmächtiger Körper abzeichnete, war hell und mild wie ein blasser Herbsthimmel, ein wenig kühl.
»Du hättest den Strahlenschock keine sechs Stunden überlebt«, fuhr Samuel fort, »Blutverlust, Quetschungen, Brüche; dein Zustand war nicht der beste. Hätte ich die Medikamente zur Hälfte aufgeteilt, wären wir beide nicht davongekommen.« Einen Augenblick lang huschte ein spöttisches Lächeln über sein Gesicht. »Oder hättest du etwas Besseres gewußt?«
»Ich war fast tot«, sagte Otis hartnäckig, »ich wäre nicht einmal mehr zu Bewußtsein gekommen. Nach sechs Stunden wäre alles vorbei gewesen. Du hättest dich nicht schuldig zu fühlen brauchen. Aber mich wird es verfolgen, ich werde mich schuldig fühlen.«
»Unsinn!« rief Samuel energisch. »Du wirst dir keine Vorwürfe machen. Es war mein Wille, meine Entscheidung, nenn es, wie du willst, von mir aus Pflicht. Das Medikament reichte nun mal nicht für beide. Du hättest an meiner Stelle genauso gehandelt!«
»Ich wollte…« Otis konnte den Satz nicht beenden, er kam sich vor wie ein Schauspieler, dem das Publikum anmerkt, daß er seine Rolle nicht bewältigt.
In der Nacht erwachte er. Die Dunkelheit war

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