Der unsichtbare Kreis
beide, daß ich es nicht schaffe. Du wirst allein sein«, fuhr er leise fort, »vielleicht lange. Du wirst anfangen, mit dir selber zu sprechen, du wirst Töne hören, wo keine sind, du wirst Schatten sehen, alte Bekannte, die du längst aus dem Gedächtnis gestrichen hast. Sie werden sich dir aufdrängen mit ihrer Unterhaltung über längst Vergangenes. Du kannst ihnen nicht ausweichen. Es sei denn, dort hinaus in die Leere, in die du dich schließlich, aus Verzweiflung, freudig hineinschleudern wirst.« Samuel blickte den Freund ernst an. Seine grauen Augen waren ungewohnt weich. Sie paßten nicht mehr in das Gesicht, das die Krankheit bereits zu zerstören begann.
»Es wird gut sein, wenn du die Erde wenigstens empfangen kannst. Es ist dir unmöglich, zu senden, aber du wirst sie hören und sehen können. Es wird dir helfen.« Er bewegte matt die Hand. »Versuch es, sieh nach, ob es funktioniert. Ich will wissen, ob ich es geschafft habe.«
Zögernd erhob sich Otis.
»Geh schon«, sagte Samuel ungeduldig.
Farbfetzen huschten über den Bildschirm. Undeutlich drangen Töne durch das Rauschen des Alls. Dann sahen sie das Bild einer Stadt. Unverständliche Worte erfüllten den Raum. Das Bild zerfloß. Ein dunkles Männergesicht erschien. Der Ton wurde klar.
Eine unbändige Freude durchströmte Otis. Es war, als würde der Mensch auf dem Bildschirm nebenan sitzen. Eine lächerliche, kindliche Sehnsucht überfiel ihn, die Tür zu öffnen, um seine lebendige Gegenwart zu spüren.
Samuels verfallene Züge belebten sich. Doch als Otis ihn aufmerksamer ansah, merkte er, daß nur die Augen des Sterbenden diesen Eindruck erzeugten. Sein Gesicht erstarrte zu einer Grimasse. Schwer atmend beugte er den Oberkörper vor.
Der Kranke ließ es sich gefallen, daß Otis ihn sanft zurückdrängte, und schloß die Augen. Er brauchte die Bilder von der Erde nicht mehr. Bald darauf fiel er in einen unruhigen Schlaf. Manchmal bewegten sich seine Lippen, und wenn Otis sich über ihn beugte, verstand er die undeutlichen Worte. Samuel befand sich in einer anderen Welt, er sprach mit Menschen, die ihm begegneten, die er vielleicht einst gekannt hatte, und er lächelte glücklich wie jemand, der Verlorengeglaubtes wiedergefunden hat.
Otis saß zusammengesunken in seinem Sessel, den Kopf tief auf die Brust gesenkt. Gegen fünf Uhr morgens war er erschöpft eingeschlafen.
Um sechs erwachte Otis. Er erhob sich und stand leicht schwankend neben dem Sessel. Einen Moment lang wußte er nicht, wo er sich befand. Nichts weckte seine Erinnerung. Kein bekanntes Geräusch drang in seine Sinne. Nur sein eigener scharfer Geruch nach Schweiß und Urin ließ ihn sich nach einem heißen Bad sehnen.
Dann sah er, daß Samuel tot war. Die schwarzen Haare umrahmten wirr sein graues, zartes Gesicht. Es erschien klein, von spielzeughafter Zerbrechlichkeit.
Der Tod des Freundes war so unabwendbar, daß er nun mechanisch nickte, kummervoll, weil der andere so eilig fortgemußt hatte, die Notwendigkeit des Geschehenen betrauernd. Tief in seinem Innern verbarg sich die unsinnige Hoffnung, es möge nur ein schwerer Schlaf über den Gefährten gekommen sein, der ihn ihm nach angemessener Frist zurückerstatten würde.
Otis wollte die Einbildung nicht zerstören. Er bangte um den geringen Aufschub, den der sinnlose Glaube ihm gewährte. So ließ er sich nieder und blickte auf den Toten, bis er sich endlich langsam, aber entschlossen erhob, um den Leichnam hinauszubringen in die stille Kälte, in der seine Leblosigkeit nicht störte.
Ehe er sich dem Toten zuwandte, fiel sein Blick auf den Bildschirm, der ihm Bruchstücke seiner Welt zeigte, Ausschnitte, die sich irgendwo hinter dem engen Rahmen fortsetzten. Er hätte diese Bilder fassen und festhalten mögen, doch sie zerrannen vor seinen Augen.
Fast vorwurfsvoll blickte er nieder auf den leblosen Freund, den grausamen Toten, der ihn zwischen den Sternen zurückgelassen hatte, blind vor Sehnsucht nach der unerreichbar fernen Welt. Um wieviel schwerer war die Hoffnung zu ertragen, die kindischen Wünsche, die bunten Visionen, nahmen sie erst Gestalt an.
Warum, dachte Otis, hast du mir meine Blindheit nicht gelassen?
Fast gewichtlos wollte ihm der magere, zarte Körper erscheinen, dessen Zerbrechlichkeit er sich fast schämte, als wäre er schuld daran. Er zog ihm den Raumanzug über, denn er wollte ihn nicht so schutzlos hergeben, dann hob er ihn wieder auf die Arme. Er blickte dem Sprecher auf dem Bildschirm triumphierend
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