Der unsichtbare Kreis
reparieren, mach es doch, vielleicht schaffst du es. Sie müssen doch erfahren, wo wir uns befinden.« Otis brach unvermittelt ab. Seine Hände blieben einen Moment wie festgenagelt in der Luft stehen, dann ließ er sie langsam sinken.
Samuel rührte sich nicht. Sein zierlicher Körper schien substanzlos zu werden durch die unnatürliche Starrheit, war nur noch Abbild seiner selbst, hinfällig als Ziel eines Angriffs.
Otis überfiel tiefe Scham, wie jemanden, der sich bei einem Selbstgespräch mit unaussprechbaren Gedanken überrascht sieht und das Ausgesprochene nun nicht widerrufen kann. Er senkte den Blick auf die Bettdecke.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Samuel freundlich, als handle es sich um etwas Belangloses. »Die Sendeantennen sind hinüber. Außerdem hätten wir nicht einmal genug Energie, um zu senden.«
Otis fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich liege hier und sehe zu, wie wir verrecken«, flüsterte er heiser. »Entschuldige, ich verliere die Nerven.«
»Schon gut.« Samuel wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Beinah pedantisch fuhr er jede Ritze, jede Wölbung mit dem Tuch entlang. Er tat es ohne Hast, wie jemand, der viel Zeit hat.
»Warum nimmst du nicht den Staubsammler?« fragte Otis.
»Er arbeitet zu schnell und zu gründlich. Er nimmt mir zuviel Arbeit ab, verstehst du?«
Otis sah ihm schweigend zu. Es erschien ihm sinnlos, etwas zu sagen, nichts wäre diese Mühe wert gewesen. Der Rücken seines Gefährten schwang rhythmisch vor und zurück. Wenn er zur Seite ausholte, bemerkte Otis Müdigkeit in der Bewegung, ihre Energie wirkte angespannt, erzwungen.
Ich müßte ihn bewundern, dachte Otis. Er scheint immer zu wissen, was notwendig ist. Er registrierte erstaunt, daß er diese Eigenschaft an Samuel früher nicht bemerkt hatte. Vielleicht war keine Gelegenheit dazu.
Er beobachtete Samuel, der mechanisch und eifrig Staub wischte, als wäre es die dringlichste Beschäftigung auf der Welt. Er sah ihm zu, als wäre es nicht wichtiger, die Augen zu schließen und an die Erde zu denken und an das, was sein Leben bisher ausgefüllt hatte. Vielleicht war das alles nicht mehr von Belang, Arbeit, seine Frau, das Pochen seines Herzens. Er fühlte sich zu schwach, bewegungslos an das Leben zu glauben. Vielleicht würde ihn die Kraft und die Tätigkeit des Freundes erreichen, wenn er an ihn glaubte. Es erfüllte ihn nichts weiter als dieser Glaube, und jede andere Wertung schien absurd. Doch vielleicht war auch Samuel zu schwach, dem Kommenden gefaßt und kalt entgegenzusehen, vielleicht war es auch für ihn nur eine Ablenkung, ein billiges Betäubungsmittel. Warum sollte Samuel stärker sein, mit welchem Recht verlangte er das von dem Freund. Samuel wollte beide täuschen, in Sicherheit wiegen. Luft und Lebensmittel für Wochen? Sicherlich war es besser, an eine Gemeinsamkeit zu glauben, ob sie erlogen war oder nicht. Ja, sie würden beide durchkommen, alles andere war Unsinn. Man würde das Wrack rechtzeitig finden; die halbe Erde war auf den Beinen, sie zu suchen. In den nächsten Wochen schon würde man sie entdecken, ganz sicher. Wenn er aufstehen konnte, würde er sich einen Lappen nehmen und Staub wischen oder mit Kreide Bilder an die verbeulten Wände zeichnen.
Was sonst?
Sie hatten Leben für acht Wochen oder für zwölf. Was sollten acht Wochen oder zwölf in der Weite des Kosmos? Und wenn die Rettung erst nach sechzehn oder vierundzwanzig Wochen einträfe? Einer würde das schon schaffen, einer von beiden. Aber sie waren zwei, und das Beinah zählte nicht, niemals.
Otis atmete tief ein und stieß die Luft durch die Nase wieder aus.
»Samuel!«
Der Gefährte hielt inne, als hätte jemand einen Mechanismus in ihm abgeschaltet. Die Arme über der Brust verschränkt, blickte er Otis fragend an.
»Warum hast du mich nicht einfach verrecken lassen, als ich dort draußen lag? Wäre kein Problem gewesen. Ich war doch schon halb tot.«
Samuel wandte sich ab und wischte weiter, als wäre nichts geschehen. Nach einer Weile sagte er: »Du bist ein Idiot!«
»Der Sauerstoff hätte doppelt so lange reichen können, Samuel. Deine Chance wäre doppelt so groß gewesen.«
»Noch größer«, sagte Samuel, »wäre meine Aussicht, in der Hälfte der Zeit durchgedreht zu haben.« Er grinste Otis über die Schulter an. »Ist eine einfache Rechnung. Verlaß dich drauf, mein Junge.«
Am Nachmittag gab Samuel ihm die letzte notwendige Dosis des Medikaments gegen die Strahlenkrankheit. Auf Otis’ Frage erklärte er,
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