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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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untersuchten, waren von den Besatzungen ordnungsgemäß verschlossen worden.
Sie verständigten sich mit einem Blick. Bond ging zur gegenüberliegenden Wand, suchte das Schaltfeld und öffnete die Klappe.
Der Nuklearblock der Station war noch funktionsfähig! Er gab mit mittelstarker Leistung Energie ab. Im Innern des Komplexes mußten Aggregate arbeiten. Das war erstaunlich, mehr noch als die offene Schleuse.
Bond schloß die Tore. Fehlerlos wie am ersten Tag schoben sich die Platten in die Füllung. Nach Sekunden hörten sie das Zischen einströmender Luft. Bond setzte die gesamte Station unter Atmosphärendruck. Nirgends zeigte sich ein Leck. Die Kontrollen wiesen aus, daß alle Räume dicht waren.
Cassini nickte Bond zu. Sie öffneten die Helme. Die Luft roch steril, wie es Luft aus Containern an sich hat, weder muffig noch frisch.
»Mach mal Licht!«
Bond suchte den Kontakt. Die Leuchtkörper flammten auf. Schatten wichen. Der Raum wurde von Helligkeit überflutet.
Sie öffneten das innere Tor. Vor ihnen lag ein langer Gang, wahrscheinlich die Hauptverbindung zur Zentrale. Er war sauber, fast wie neu.
Nachdem sie ein Dutzend Schritte gegangen waren, blieb Bond stehen. Etwa zehn Meter vor ihnen schien eine Schattengrenze zu liegen, ein dünner, grauer, alles bedeckender Schleier. Im ersten Augenblick dachte Bond an eine Täuschung. Er kniff die Augen zusammen, riß sie wieder auf, bis sie schmerzten. Doch das hauchzarte Gespinst blieb.
»Was ist?« fragte Cassini.
Bond zeigte es ihm.
Cassini sah sich zweifelnd um, schüttelte den Kopf. »Du bist überreizt.«
»Mach doch die Augen auf«, flüsterte Bond.
Sie starrten beide nach vorn. Bond erschien es plötzlich, als zeichneten sich grau in grau die Konturen eines menschlichen Körpers ab. Sein Gesicht verhärtete sich vor Spannung. Ein Schleier zog lidschlaglang in sein Blickfeld. Als es wieder klar war, zeigte sich das Grau wie vorher. Es war wohl eine Täuschung.
Cassini richtete sich auf. »Ich sehe nichts«, erklärte er. »Kein Grau, keinen Schleier. Ich sehe das Ende des Ganges wie die Wand neben mir, kein Unterschied. Mach dich nicht verrückt, mein Junge.« Er ging weiter, ohne auf Bond zu achten.
Bond schwieg. Er hatte keine Lust, sich zu rechtfertigen, mit unzureichenden Worten die Erscheinung zu beschreiben. Wahrscheinlich würde er sich lächerlich machen. Am Ende war es wirklich nur eine Sinnestäuschung. Überreiztheit. Kein Wunder, wenn man sich wochenlang der blödsinnigen Beschäftigung hingab, alte Stationen zu untersuchen, von Ruine zu Ruine zu jagen, um stets dasselbe langweilige Ergebnis zu konstatieren. Es war eine Aufgabe für Anfänger oder für Roboter. Er folgte mißvergnügt seinem Ersten Piloten.
Sie sahen hier und da in die Privaträume der Besatzung. Überall das gleiche Bild: Die Räume waren komplett eingerichtet, zum Teil unaufgeräumt; es lagen persönliche Gegenstände umher, die niemand freiwillig zurückläßt: Bücher, Uhren, Bilder von Angehörigen. Die Szene erweckte den Eindruck, als hätte die Besatzung die Station überstürzt geräumt. Doch nirgends die Spur einer gewaltsamen Einwirkung, einer Katastrophe. Im Speiseraum war der Mittagstisch gedeckt. Auf den Tellern lagen ausgedörrte Krümel. Die Besatzung hatte vor zweihundert Jahren ihr Mittagessen nicht mehr eingenommen.
Cassini zählte die Gedecke. Es waren vierunddreißig. »Komisch«, bemerkte er, »es sieht so aus, als kämen sie gleich wieder.«
»Ihr Tagebuch«, sagte Bond.
Sie eilten den Gang entlang zur Zentrale. Unvermittelt blieb Bond stehen und lauschte.
Cassini verhielt unwillig. »Was hast du?«
»Mir ist, als hätte ich Stimmen gehört.«
»Darf ich dich daran erinnern, daß die Station luftleer war.« Cassini verzog die Mundwinkel. »Himmel ja, es war schon eine öde Tour. Mußt nicht gleich durchdrehen.« In seinem Ton klang Besorgnis auf, aber dann grinste er wieder, und der Eindruck verwischte sich.
Bond fuhr sich über die Stirn. Vielleicht waren es tatsächlich die Nerven. Er zwang sich zur Konzentration, versuchte Gedanken und Erinnerungen zu ordnen.
Vier Wochen lang waren sie von Mond zu Mond geeilt, hatten verfallene ehemalige Stützpunkte der irdischen Forschung besichtigt, sie auf ihre Wiederverwendbarkeit geprüft. Ruinen, immer wieder Ruinen, halb abgetragen, von Meteoriten zerstört oder durch geologische Tätigkeit. Manche fanden sie unversehrt vor, aber nach zweihundertjähriger Ruhe wirkten die Hallen wie mit Pergament überzogene

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