Der unsichtbare Kreis
Sie blickte ihn unsicher an. »Verstehst du, seit damals hat sich nichts verändert.«
»Überall auf der Welt sind Menschen umgekommen«, erwiderte Katten. »Heute stehen dort Häuser oder es wachsen Bäume.«
»Hier ist die Zeit stehengeblieben«, sagte sie.
Über die Empfänger vernahmen sie die Ausgelassenheit der anderen.
Lares Gesicht wirkte im harten Licht seines Scheinwerfers blaß. »Sag mir, worüber die sich freuen? Hinter dieser Wand könnte ein Toter liegen und dort einer und dort.«
»Sie sind bestimmt geborgen worden«, sagte Katten, »bestimmt.« Er bemühte sich, seinem Gesicht keine Unsicherheit anmerken zu lassen. Er wollte nicht zu den anderen zurückkehren. Er wollte etwas entdecken. Er wußte nicht genau, was. Seine Vorstellung endete an etwas Neuem, Geheimnisvollem. Es mußte etwas sein, worüber noch nie ein Mensch mit ihm gesprochen hatte, etwas, was ihm vorenthalten worden war. Vielleicht war es etwas Furchtbares. »Laß sie, kümmere dich nicht um sie.« Er nahm Lares Hand.
Sie gingen langsam weiter, blickten sich nur hin und wieder scheu an und rückten so dicht, als es die Anzüge erlaubten, aneinander. Die Schreie der anderen summten und wisperten, als wollten sie verlöschen, flackerten jäh wieder auf. Sie waren so fremd, als kämen sie aus einer anderen Welt.
»Katten«, sagte Lare. »Sie sind alle umgekommen. Nicht einer hat es überlebt.«
Er wußte nicht recht, was er ihrem melancholischen Nachsinnen entgegenhalten sollte. »Raumfliegerei war gefährlich damals. Was ändert es, ob einer umgekommen ist oder alle? Wie unbeholfen ihre Schutzanzüge waren. Provisorisch. Ich glaube, damals wurden die letzten Abenteuer erlebt.«
»Ich weiß nicht«, sagte Lare. »Abenteuer?«
»Ihr werden noch Ohrensausen bekommen«, sagte plötzlich jemand, »und depressive Wahnvorstellungen vom Philosophieren. Ihre Schuld, wenn sie sich mit solchen Vehikeln in den Weltraum wagten. Größenwahn!«
»Ach, halt’s Maul«, sagte Katten ärgerlich.
Der andere begann albern zu lachen.
Sie schalteten die Leistung ihrer Helmgeräte auf ein Minimum herunter. Es war verboten, doch sie wollten allein sein. Bis auf ein unbestimmtes Raunen verstummten die Geräusche und Äußerungen der andern. Als wären sie dicht beieinander, hörten Katten und Lare nur noch ihre eigenen Stimmen, ihre Atemzüge.
»Ich weiß, was du sagen willst«, entgegnete Katten. »Sie haben uns den Weg bereitet, sie haben sich geopfert und so weiter. Aber das war doch immer so!«
»Für uns heute ist das Spielerei«, sagte Lare.
»Genau das meinte ich«, fuhr er überrascht fort. »Abenteuer!« Der Ton paßte nicht zu seinem Alter. Die Bitterkeit wirkte gekünstelt. Er merkte es selbst und äußerte ironisch: »Wir könnten uns höchstens mal das Bein brechen, beim Tanzen… Das Schiff ist unzerstörbar, vollautomatisch, perfekt, uns umgibt Perfektion, die Schutzanzüge, unzerreißbar. Uns kann nichts passieren!«
»Das hört sich so an, als wünschtest du es.«
Er wehrte ab. »Es läuft nur alles stets so ab, wie es geplant wird. Immer! Ich denke, manchmal müßte etwas geschehen, was keiner vorausgesehen hat. Mehr nicht.«
»Und warum?« Ihre Frage klang naiv, aber er hörte die Provokation heraus.
»Du weißt doch, was ich meine.« Kattens Hand fuhr ungeduldig durch die Leere.
»Ja.«
»Also, warum fragst du?«
»Ich wollte sichergehen.« Ihre Stimme hatte einen spöttischen Kickser.
»Und?«
»Wir meinen schon das gleiche.«
»Bist du nun beruhigt?«
»Sehr.«
Sie lachten erleichtert auf, als hätten sie gemeinsam etwas Schwieriges bewältigt.
»Ist das nun tragisch oder komisch?« sagte Katten. »Wir sind kaum zwanzig und wissen im großen und ganzen, was in den restlichen achtzig Jahren auf uns zukommen wird.«
»Es ist üblich, eine liebe Gewohnheit.« Sie war mehr ironisch als ernsthaft.
»Für manche ist es Gift.«
»Du Ausnahme.« Ihr Spott verpuffte mit einem scharfen Laut: »Die meisten wollen das so, wissen, was morgen ist. Nach Möglichkeit bis ins letzte Detail. Kein Risiko.«
»Und warum reißen sie sich drum, mit Bailey einen Trip zu machen?«
»‘ne Art Ausgleichssport«, sagte Lare. »Überraschungen am Wochenende.«
»Und wir?« fragte Katten.
»Wahrscheinlich nicht viel anders«, erwiderte sie.
»Aha.«
»Natürlich, aha.«
»Täglich, das war’ nichts, wie? Zu anstrengend.«
»Seriöser ausgedrückt«, sagte Lare, »klingt’s besser: effektiv leben, optimal nützen.«
»Lange keine Zeitung gelesen«, sagte
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