Der unsichtbare Mond
konnte. Zuvor gelang es ihm jedoch, einen Blick auf die einzige Sache zu werfen, die noch merkwürdiger war als ein Flugzeug, das sich bei neun Kilometern pro Sekunde in einen Drachen verwandelte: ein zweites Flugzeug, das sich in einen Drachen verwandelt hatte, und zwar in einen Drachen mit besser entwickelter Lunge und schlechter Laune.
Was folgte, lässt sich mit den Worten Flammen, Absturz und Bewusstlosigkeit zusammenfassen.
»Mann«, sagte Hjerold. »Ich hoffe, Sie lassen sich die Flugkosten zurückerstatten.«
Moore blickte auf und seufzte. »Das kann ich nicht«, sagte er und seufzte noch einmal. »Ich habe die Tickets ohne Rückgaberecht gekauft.«
»Au, verdammt«, sagte Hjerold.
Etwa zur selben Zeit, als die Männer mit Neuigkeiten von Brendan’s Ferry zurückkehrten, hörten Blaine und Helen McMillan auf, die Nachbarschaft nach Kevin abzusuchen. Angefangen hatten sie damit, an allen Türen nach ihm zu fragen. (Eine unangenehme Situation, besonders als Helen Meredith darum bat, ihnen Bescheid zu sagen, falls sie auf eine Spur von ihm stoßen sollte. Um die Wahrheit zu sagen, gab es überall in ihrem Haus Spuren von ihm, doch sie waren entweder in Gebrauch oder wurden für später aufgehoben. Und so konnte sie nur mitfühlend nicken.) Das war vor zwei Tagen gewesen. Nach den Ereignissen des Vortages war jedermann abgelenkt. Die einzigen Menschen, die das besondere Dilemma und die Befürchtungen der MacMillans nachvollziehen konnten, waren die Jensens, die Howards und die Burtons, die alle selbst nach ihren vermissten Kindern suchten.
Meredith kam zu dem Schluss, dass Blaine die Suche eingestellt hatte, weil er durchgedreht war – die Woche war furchtbar gewesen und sie hatten erst Mittwoch. Helen hörte auf zu suchen, weil sich der rostige Ford, den Blaine und Kevin wiederhergerichtet hatten, in einen Greif verwandelte und sie auffraß.
Genau genommen, dachte Meredith, könnte es auch der Anblick der über den Rasen und das Dach verstreuten Überreste seiner Frau gewesen sein, die Blaine den Rest gaben. Jedenfalls trugen sie nicht zu seinem Wohlbefinden bei. Doch das gehört zu den Risiken, die man eingeht, wenn man sich ein amerikanisches Auto kauft.
Das Soame’s hatte sich im übertragenen wie im wörtlichen Sinne in den prominentesten Versammlungsort der Stadt verwandelt; abgesehen von der Schule, die merkwürdigerweise über Nacht von Fledermäusen bevölkert wurde (zumindest hoffte jeder in der Stadt inbrünstig, dass es sich um Fledermäuse handelte); und den verschiedenen Kirchen, die voller Menschen waren, die klagten und beichteten und den jeweiligen Gott um Vergebung baten, von dem sie glaubten, er beabsichtige Höllenfeuer und Schwefel auf ihre sündigen Häupter regnen zu lassen – und das konnte allem Anschein nach nur Cecil B. DeMille oder George Lucas an einem schlechten Tag sein.
Sollte mythologisch gesehen tatsächlich das Ende der Welt gekommen sein oder die Apokalypse oder was auch immer, so deuteten die Archetypen, in die sich alles zu verwandeln schien, darauf hin, dass noch am ehesten die Menschen des Mittelalters und die Skandinavier jene Kräfte des Universums verstehen mochten, die mächtiger sind als der Mensch. Das bedeutete außerdem, dass unter all jenen, die möglicherweise Anspruch auf die Gabe der Prophetie erheben konnten, Hjerold immer noch den besten Riecher hatte.
»Coole Sache«, sagte Hjerold.
Die Stadtältesten nahmen die Haupthalle des Soame’s für Versammlungen in Beschlag. Sie diskutierten darüber, was sie als erstes besprechen wollten (nicht einmal die Apokalypse kann dem Lauf der Bürokratie Einhalt gebieten) und Glen und Delna hatten alle Hände voll zu tun. Unterdessen beschlossen Tetsuo, Fuji, Meredith und Hjerold (der gewaltsam mitgeschleppt werden musste, denn er hatte entdeckt, dass ein paar einheimische Gruftis von seiner Geschichte gehört und die Kirche des Heiligen Hjerold gegründet hatten – mit immerhin elf Gemeindemitgliedern), dass die einzige Hoffnung auf Antworten darin bestand, ihrem ursprünglichen Plan zu folgen – die Bibliothek der Kawaminamis nach allem zu durchkämmen, was einen Hinweis auf das Chaos liefern mochte, das um sie herum ausbrach.
Keiner von ihnen musste erwähnen, dass ihr Verdacht zu einer Überzeugung geworden war – das ganze Geschehen hing irgendwie mit den Ereignissen in Deutschland zusammen. Mit Kerzen und Laternen ausgerüstet, öffneten sie die breiten Hartholztüren, die zu einer
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