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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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dass Merediths Vater fortgegangen war, weil die Verteidigung seiner Ehre bedeutet hätte, seine Frau und ihren Liebhaber zu töten. Damit hätte er ein Kind zurückgelassen, das eines Tages erfahren würde, dass sein Vater seine Mutter getötet hatte. Er ging lieber fort, als beide zu zwingen, das ertragen zu müssen.
    Merediths Großeltern konnten ihm einfach nicht verzeihen, dass er ihrer Mutter den Segen gegeben hatte, Michael zu heiraten. Ob ihn das zu einem Romantiker oder einem Feigling machte, darüber hatte sie nie ernsthaft nachgedacht.
    Auf der Stelle, an der er getötet worden war, wuchs kein Gras. Die Pflanzen waren im Laufe der Ermittlungen des Polizeichefs totgetrampelt worden. Man hatte nie etwas gefunden, jedenfalls nichts, das aussagekräftig gewesen wäre. An der Leiche gab es keine Spuren, keine Anzeichen eines Kampfes. Hätte nicht sein Kopf gefehlt, so hätte man vermuten können, er sei einfach hierher gewandert und unter den Bäumen eingeschlafen.
    Plötzlich bemerkte Meredith, dass sich etwas verändert hatte – unter dem Baum lag ein Haufen Zweige, der nicht dorthin gehörte. Als sie genauer hinsah, stellte sie fest, dass es sich bei den zusammengebundenen, vertrockneten Überresten um Blumen handelte: Schnittblumen. Jemand hatte erst vor kurzem diesen Ort aufgesucht und Blumen an der Stelle hinterlassen, wo ihr Vater gestorben war. Doch wer? Außer den Kawaminamis besaß ihr Vater in Silvertown keine engeren Freunde; und auch sonst nirgendwo, soweit sie wusste. Er hatte als Tagelöhner für die Reedereien gearbeitet, die die Wasserstraße entlang fuhren, und hatte Kameraden gehabt, mit denen er gemeinsam zechte. Sie hatte jedoch in den Monaten seit ihrer Ankunft niemanden getroffen, der mit ihm befreundet gewesen wäre und Blumen hinterlassen würde.
    Meredith nahm sich vor, darüber nachzudenken.
    Sie sah sich ein letztes Mal bekümmert um und machte sich wieder auf den Weg zurück in die Stadt.
     

     
    Als der Morgen kam, begann sich das Ausmaß dessen abzuzeichnen, womit sie es zu tun hatten. Rauch bedeckte den Horizont von einem Ende zum anderen. Die Tragödie von Brendan’s Ferry war kein Einzelfall. Noch ein oder zweimal wurden Flugzeuge gesichtet, obwohl keines mehr abstürzte oder auch nur in die Nähe der Stadt kam. Die Stimmung unter den Bewohnern war grauenvoll. Die in die Luft aufwirbelnden Aschewolken hatten die Sonne verdunkelt und ließen nur trübes Licht durchscheinen.
    Etwa um zehn bekamen alle einen ziemlichen Schreck. Die Gruppe von Männern, die nach Brendan’s Ferry gegangen waren, um die Katastrophe zu begutachten, kehrte mit einem Überlebenden nach Silvertown zurück. Es war keiner der Stadtbewohner, von denen viele unverletzt geblieben waren, sondern ein Passagier des abgestürzten Flugzeuges.
    Er war in Decken und Druckmanschetten gehüllt, die Körpertemperatur und Blutdruck aufrecht erhalten sollten, und Lloyd Willis, der zum freiwilligen Sanitäterteam gehörte, hatte in das Handgelenk des Mannes eine Kanüle eingesetzt, um ihm Schmerzmittel und Salzlösung verabreichen zu können.
    Der unglückselige Bursche, der Stephen Moore hieß, war auf dem Weg nach Chicago gewesen, um einen Vertrag über den Verleih von dreitausend Flipperautomaten an Familienrestaurants auf den Philippinen zu unterzeichnen. Anscheinend waren nach etwa zwanzig Flugminuten die Sauerstoffmasken ohne jeden Grund heruntergefallen. Etwa fünfzehn Minuten später überzogen sich die Fenster mit einer zähflüssigen, öligen Substanz, die zunächst undurchsichtig wurde und sich schließlich verhärtete.
    Dann begannen die Fenster zu blinzeln.
    Eine Menge Geschrei und Herumgerenne folgte, Gebete wurden gesprochen, der Bordservice eingestellt. Die Piloten waren im Schweiße ihres Angesichts darum bemüht, einigermaßen gleichmäßig an Höhe zu verlieren; ein schwieriges Unterfangen, vor allem da sich die Windschutzscheibe auflöste und das Cockpit sich in Nüstern verwandelte.
    Moore wiederum war ein Passagier von der leicht paranoiden Sorte und hatte sich deshalb beim ersten Anzeichen merkwürdiger Geschehnisse in der Toilette im hinteren Teil des Flugzeuges eingeschlossen (er hatte einmal in einem Comic-Heft gelesen, dies sei bei einer Flugzeugkatastrophe der sicherste Ort). Wie sich herausstellte, war das eine gute Idee gewesen – während sich die Umwandlungen fortsetzten, wurde er sicher (wenn auch unfreiwillig) in etwas eingeschlossen, das man am ehesten als Mastdarm bezeichnen

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