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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Thema schien für sie zu schmerzlich zu sein. Als sie dann letztes Jahr gestorben ist, dachte ich, Vater würde mir endlich die Wahrheit sagen, wenn wir nur zusammenkommen könnten…«
    »Ich bin sicher, er hätte es getan, wenn er es gekonnt hätte. Meine Eltern mochten ihn sehr«, sagte Shingo sanft.
    »Ich weiß.«
    »Hast du mit deinem Stiefvater jemals darüber gesprochen?«
    »Nie«, sagte Meredith kopfschüttelnd. »Schlimm genug, dass Mutter eine Affäre mit ihm hatte und meinen Vater in Schmerz und Schande vertrieben hat – aber so lange meinen Vater zu spielen…«
    »Meredith, er war dein Vater.«
    »Er war nicht mein Vater! Soviel ich weiß, hat er ihn umgebracht und meine Mutter auch.«
    »Deine Mutter ist an einer Lungenentzündung gestorben – das weißt du.«
    »Ja – aber wenn man einem Menschen lange genug die Seele aussaugt, dann stirbt er innerlich ab und kann ebenso gut wirklich sterben. Und bei manchen ist es so.«
    Das schien die Unterhaltung zum Stillstand zu bringen. Meredith und Shingo standen eine Zeitlang nur da und blickten zu Boden. Dann fragte Meredith unvermittelt: »Warum sollte ihn jemand umbringen, Shingo? Was war der Grund dafür?«
    »Rache vielleicht. Ehebruch ist eine erschütternde Angelegenheit. Er kann Leben ruinieren. Und wenn solche Kosten auflaufen, dann muss normalerweise jemand den Preis dafür zahlen.«
    »Ich habe von meinem Vater gesprochen, Shingo.«
    Er sah sie an und überlegte. »Ich meinte Langbein. Vielleicht war jemand noch aufgebrachter über sein Verbrechen als du und wollte deine Mutter rächen.«
    »Meine Mutter?«, antwortete Meredith überrascht. »Sie war daran beteiligt – mein Vater war es, der gelitten hat, und ich bin diejenige, die den Preis zahlt.«
    »Sie hatte sich nie daran beteiligt, Meredith. Es war immer er. Immer!«, sagte Shingo aufgebracht. Dann gewann er wieder die Beherrschung über sich und lächelte dünn. »Es tut mir Leid. Ich schätze, ich werde einfach defensiv, wenn es um Menschen geht, die ich liebe.«
    »Schon gut«, sagte Meredith. »Ich verstehe das.«
    »Ich werde mal nachsehen, ob Papa Hilfe braucht. Bis später, okay?«
    »Sicher.«
    Er gab ihr einen langen Kuss auf die Lippen und trabte davon. Es stimmte, dachte Meredith, sie verstand seinen Beschützerinstinkt und seine Gründe. Sie hätte ihn jedoch noch mehr verstanden, wenn sie wirklich geglaubt hätte, dass er gerade von ihr gesprochen hatte.
     

     
    »Hallo, Reedy«, sagte Hjerold, der mit einer Kerze und einigen Butterbroten herüber geschlendert kam. »Bei diesem Licht sehen deine Haare aus, als würden sie grau werden.«
    »Vielen Dank, Hjerold«, sagte Meredith.
    »Hee, ich habe doch nur gesagt…«
    »Schon gut. Bringst du mich nach Hause?«, fragte Meredith und bot ihm einen Arm an.
    »Klar.«
    Entgegen Fujis Einwand, sie solle die Nacht im Soame’s bleiben, hatte Meredith darauf beharrt, dass sie eine ruhige Nacht in ihrem eigenen Bett nötig habe, und sie trat mit Hjerold und einer Ladung Kerzen in die Dunkelheit der Stadt hinaus.
    Hier und dort flackerten einige Lichter hinter den Fenstern und hin und wieder begegnete ihnen ein Schatten mit einer Laterne. Für gewöhnlich wechselten die Leute auf die andere Straßenseite, wenn sie Hjerold und Meredith kommen sahen, als hätten sie Angst vor ihnen. Angesichts gewisser Ereignisse, die immer häufiger auftraten, konnte Meredith es ihnen nicht verübeln.
    Sie waren nur wenige Häuserblocks von Merediths Haus entfernt, als das Grollen begann. Hjerold spürte es als erster und brachte sie mit einem nachdrücklichen Ziehen an ihrem Arm zum Stehen.
    »Was ist los?«
    »Sag mal, Reedy – hörst du das?«
    Einen Augenblick später hörte sie es tatsächlich: Der Zug von Ogdensburg auf dem Weg nach Watertown fuhr mit fast sieben Stunden Verspätung durch.
    Meredith zuckte mit den Achseln und zog ihren Anorak fester um sich. »Und? Das ist der Zug. Er hat ein wenig Verspätung, aber…«
    Mit einem Mal dämmerte ihr, warum Hjerold sich Sorgen machte. Sie konnten den Zug jetzt deutlich hören, und das war das Problem – keine Maschine funktionierte, kein Auto, keine elektrischen Schiffe, rein gar nichts. Der Zug hätte nicht nur Verspätung haben sollen – er hätte überhaupt nicht fahren dürfen.
    »Komm mit, Reedy«, sagte Hjerold und zog an ihr. »Vielleicht können wir zu den Gleisen gelangen, bevor er vorbei ist.«
    Meredith und Hjerold ließen die Kerzen an der Straßenecke liegen und liefen zur

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