Der unsichtbare Mond
machen, niemals dein Leben und das deiner Mutter zerstören würde…«
»Ging er fort.«
Tetsuo nickte. »Ging er fort.«
»Aber es war nicht nur meine Mutter. Michael, dieser Scheißkerl, ist ebenso Schuld daran.«
»Meredith«, sagte Tetsuo, »dieser ›Scheißkerl‹, der Mann, gegen den du so viel Ärger in dir trägst, der Mann, der dich aufgezogen hat, ist dein leiblicher Vater. Er mag zusammen mit deiner Mutter Wasily betrogen haben, mehr aber nicht. Wasily war der Mann deiner Mutter, nicht dein Vater. Er ging, um dem Mann Platz zu machen, der dein wahrer Vater war.«
Sie brauchte mehrere Anläufe, um das zu schlucken.
»Aber die Briefe…«
»Er betrachtete Elena immer noch als seine Frau und dich als seine Tochter. Er liebte dich, Meredith. Er wollte, dass du ihn kennst. Deine Großmutter hat Elena seine Briefe niemals gegeben, weil Wasily sie gebeten hatte, es nicht zu tun.«
»Wussten sie, warum er fortgegangen war – den wahren Grund?«
»Dein Großvater ahnte es, aber Wasily konnte nicht sicher sein. Es wurde in keinem der Briefe angesprochen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sie es dir nie erzählt haben. Allerdings stimmten sie mit Wasily darin überein, es deiner Entscheidung zu überlassen, ob du die Briefe deiner Mutter zeigen willst. Vielleicht dachte er, dass Elena und Michael dir dann die Wahrheit erzählen würden. Das kann ich nicht sagen.«
»Wäre er jemals… Hätte er es mir jemals gesagt, wenn ich ihn vor seinem Tod besucht hätte?«
Tetsuo nickte und nahm ihre Hände in die seinen. »Ja – und darum hat er sich entschlossen, es mir zu sagen. Er wollte es dir erzählen, wenn du alt genug warst und dein Leben unabhängig vom Einfluss deiner Eltern selbst bestimmen konntest. Er… er hoffte, dass du dich immer noch dazu entschließen würdest, ihn zu lieben.«
Stumm blinzelte sie die Tränen zurück.
»Er befürchtete, dass irgendein Ereignis oder Umstand euch daran hindern würde zusammenzukommen, also zog er mich ins Vertrauen und nahm mir das Versprechen ab, es dir zu erzählen, sollte er nicht mehr dazu in der Lage sein. Traurigerweise war es ein prophetisches Gespräch, denn am nächsten Morgen wurde er tot aufgefunden.«
»Hat er irgendeinen Hinweis darauf gegeben, dass er wusste, es könnte etwas passieren?«
Tetsuo zog die Hände zurück und schüttelte langsam den Kopf. »Nicht ein Sterbenswort. Dass er seine Furcht zum Ausdruck brachte, ist jedoch Anhaltspunkt genug. Er muss zumindest einen Verdacht gehabt haben.«
Benommen stand Meredith auf, ging durch den kalten Raum und schlang die Arme um sich. Im Spiegelbild des Fensters konnte sie sehen, dass ihr Haar fast vollständig grau und ihre Hüften breiter geworden waren. Außerdem schienen ihre Brüste schwerer und ihr Gesicht dicker geworden zu sein. Allerdings konnte es sich dabei auch um Verzerrungen im Glas handeln. Sie hoffte, dass es so war. Sie wollte eine hübsche Braut abgeben für den Sohn dieses Mannes, den sie in diesem Augenblick so sehr liebte. Meredith wandte sich wieder Tetsuo zu.
»Ich bin froh, dass er es dir erzählt hat. Ich bin froh, dass ich es weiß.«
Tetsuo neigte achtungsvoll den Kopf.
Erst dann erinnerte sie sich, warum er sie in die Bibliothek geführt hatte.
»Ted? Was hat das alles mit dir zu tun? Du hast dein Wort Wasily gegenüber gehalten.« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Schwerts auf dem Tisch. »Warum hast du mir dein Leben angeboten?«
Als er das hörte, verlor er seine Haltung, als habe ihn die Standpauke einer Schulleiterin aus einem angenehmen Tagtraum geweckt. »Meredith«, begann er, »als dein Vater starb, gab es keine Zeugen und keine Verdächtigen. Es gab nicht einmal genug Beweismaterial, um mit einer Ermittlung zu beginnen. Als ich mir seine Leiche jedoch genauer ansah, wurde mir klar, dass ich wusste, welches Instrument einen Kopf so sauber abtrennen konnte.«
Ohne es zu wollen, erschauerte Meredith. Sie zwang sich, das Schwert nicht anzusehen.
»Obwohl Georges Hund den Sheriff zu verschiedenen Orten in der Stadt geführt hat, darunter auch in meine Bibliothek, führte er die Männer niemals zu der Truhe, in der das Schwert normalerweise aufbewahrt wurde. Ich habe nachgeschaut und festgestellt, dass es sich nicht mehr darin befand. Ich habe nie wieder nachgesehen, bis zum heutigen Morgen, als das Katana neben Fujiko gefunden wurde.«
»Was willst du mir damit sagen, Ted?«
»Ich… ich glaube, Fujiko hat ihn umgebracht, Meredith. Ich
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