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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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glaube, sie hat deinen Vater getötet.«
    Mit einem Mal schien es, als habe der Schnee draußen aufgehört zu fallen, bis Meredith bewusst wurde, dass es lediglich die Ewigkeit zwischen den Augenblicken war, die sie mit Tetsuo teilte.
    »Aber warum? Warum hätte sie das tun sollen? Und wie? Wasily war ein riesiger Mann! Es ist unmöglich, dass eine so kleine Frau wie…«
    Tetsuo brachte sie mit einem schrecklich liebevollen Lächeln zum Verstummen. »Es war Fuji, die mich die Schwertkunst, den Weg des Samurai, lehrte«, sagte er unter Tränen. »Das Schwert war ihr Geburtsrecht, nicht meines – und jetzt gehört es Shingo.«
    Meredith dachte einen Augenblick nach – vor ihrem inneren Auge erschien das Bild jener winzigen Frau und ihres gewaltigen Vaters, die miteinander kämpften. Es schien noch immer unmöglich.
    »Ted, sag mir – warum sollte Fuji, selbst wenn sie es gekonnt hätte, meinen Vater töten?«
    Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab, bis er halb im Schatten stand. »Ich weiß es nicht. Dann ist da noch das hier«, sagte er und hielt ihr mit zitternder Hand ein zerknittertes Stück Papier hin. Es war der Zettel, der in Fujis Hand gefunden worden war. Meredith faltete ihn auf und las die wenigen schlichten Zeilen, die darauf geschrieben standen:
     
    Für Tetsuo und meinen Shingo tut es mir Leid,
    dass ich so sterbe -
    Für Wasily ist es nur richtig -
    Mein Leben für das seine
     
    »Was ist, wenn du dich irrst?«, rief Meredith aus. »Wenn sie ihn nicht…« Tetsuo drehte sich um. Seine Augen zuckten zu den rostfarbenen Flecken auf der Klinge und blickten dann zu ihr auf. Meredith schluckte trocken. Beide wussten, dass es sich um Blut handelte und dass es weder frisch war, noch besonders alt. Wahrscheinlich weniger als ein Jahr. Wahrscheinlich stammte es aus der Woche, in der ihr Vater gestorben war.
    Tetsuo trat an den Tisch zurück und nahm erneut das Schwert auf, um es ihr hinzuhalten. »Es ist meine Verpflichtung, Meredith. Bitte hilf mir, die Ehre meines Hauses wieder herzustellen.«
    »Aber warum? Was immer Fuji getan hat – es war ihre Entscheidung, nicht deine. Wenn sie meinen Vater getötet hat, war es ihre Sünde. Willst du – « Meredith hielt inne und eine neue Befürchtung schlich sich in ihre Gedanken. »Willst du damit sagen, dass du sie umgebracht hast?«
    »Nein. Die Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, hat sie selbst gefällt. Doch die Schande ist so groß, als hätte ich den Schlag selbst geführt.« Er verneigte sich noch einmal tief und hielt ihr das Schwert entgegen.
    Meredith nahm es ihm ab und warf es quer durch den Raum.
    Tetsuo stand überrascht auf, ein Ausdruck der Verwirrung und des Schmerzes auf seinem Gesicht. Er sah sie fragend an.
    »Ich werde dich verdammt noch mal nicht umbringen, Ted. Hast du in letzter Zeit mal rausgeschaut?« Meredith schritt zum Fenster und riss die Vorhänge zurück. »Es schneit immer noch. Erst gestern haben wir deinen Bibliothekar gelyncht und die halbe Stadt ist verschwunden. In Kanada fressen die Busse Menschen. Flugzeuge verwandeln sich in Drachen. Die Autos der Stadt haben den größten Teil der Band gefressen und ich glaube, Glen und Delna verwandeln sich in Trolle. Mein Vater, der nicht wirklich mein Vater war, ist tot. Mein Stiefvater, der in Wahrheit mein Vater war, wurde ebenfalls getötet. Eine meiner engsten Freundinnen nimmt sich das Leben und du willst, dass ich dich umbringe, weil du es nicht ertragen kannst, dass sie sich selbst und jemand anderen getötet hat? Und was ist mit Shingo? Wir stecken hier vielleicht mitten im Weltuntergang, er hat gerade seine Mutter verloren, weniger als einen Tag nachdem er den Entschluss gefasst hatte, mich heiraten zu wollen. Und du willst, dass ich zu ihm gehe und ihm erzähle, dass du – sein Vater – tot bist und dass ich dich umgebracht habe? Jetzt mach verdammt noch mal halblang, Ted.«
    Er stand stocksteif da, vor Schock, wie Meredith glaubte.
    Dann schenkte er ihr das Lächeln, das sie so gut kannte, setzte sich an den Tisch und bedeutete ihr, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Erneut ergriff er ihre Hände, beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn.
    »Es tut mir Leid, Meredith. Bitte verzeih mir.«
    »Natürlich verzeihe ich dir«, sagte sie und umarmte ihn. »Schließlich wirst du der einzige Vater sein, der mir noch geblieben ist.«
    Erst da begriff er, was sie über Shingos Heiratsantrag gesagt hatte und hob überrascht die Augenbrauen. Meredith konnte seinen

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