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Der unsichtbare Turm

Der unsichtbare Turm

Titel: Der unsichtbare Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Johnson-Shelton
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bei euch?«, fragte Däumling.
    »Jawohl«, sagte Artie.
    »Alles bestens, Kleiner«, bestätigte Kay. »Aber hoppla – was ist denn mit dir und deinem Kaninchen passiert?«
    Wie beim letzten Besuch in der Anderswelt war Däumling gewachsen. Sein Kaninchen war proportional mitgewachsen und hatte jetzt die Größe einer großen Promenadenmischung. Mit diesen Ausmaßen sahen seine Zähne tatsächlich ziemlich fies aus.
    »Ich bin hier größer«, erklärte Däumling. »Und Vorpal genauso.«
    »Das sehe ich. Und du hast außerdem ein Schwert.«
    Däumling tätschelte das Schwert, das in einem Schaft an seinem Gürtel steckte. »Ach ja, das walisische Wakizashi. Ein alter Freund.«
    »Na toll, dann bin ich also die Einzige, die keine Waffe hat«, stellte Kay fest.
    »Im Moment ja. Aber keine Sorge, Cleomedes wird früh genug dir gehören. Artie – weißt du, wo wir sind?«
    Artie zog seinen Kompass aus der Tasche und klappte ihn auf. »Ja. Lass mich nur unsere Position bestimmen.«
    Er hielt den Kompass parallel zum Boden. Die Nadel drehte sich wie wild, bevor sie sich auf das Magnetfeld einpendelte. Vielleicht war auch sie etwas mitgenommen vom Übergang in die andere Welt.
    Artie deutete mit Cleomedes in die Richtung, von der er vermutete, dass sie die richtige war und sagte: »Hier entlang.«
    »Sehr gut, Bursche. Und denkt daran: Cleomedes ist hier vollkommen sichtbar. Viele werden es wahrscheinlich erkennen, wenn sie es sehen. Ihr seid nicht mehr so anonym wie zu Hause.«
    »Verstanden«, erwiderte Artie.
    Sie gingen los und sprachen nicht mehr, denn es gab viel zu sehen.
    Die Bäume waren riesig. Ihre Stämme hatten einen Durchmesser von mehreren Metern. Artie nahm an, dass es die ältesten Bäume waren, die er jemals gesehen hatte. Viele der Blumen, die am Straßenrand wuchsen, sahen aus wie die Blumen zu Hause, aber dann gab es da noch Tausende mehr, die Artie noch nie zuvor gesehen hatte. Da war eine grüne Blume, die aussah wie ein Schmetterling; eine flauschige orangefarbene, die einer Wolke ähnlicher war als einer Blume; und eine flache braune in der Form eines perfekten Quadrats.
    Der Himmel war außerdem blau und violett gleichzeitig. Und die Wolken waren hauptsächlich weiß, aber zugleich leicht rosa gefärbt. Artie fragte sich, ob es eine Sinnestäuschung war, konnte es aber nicht genau feststellen.
    Das Eigenartigste waren die Geräusche. Als Artie Bercilak im Videospiel getroffen hatte, waren sie nicht zu hören gewesen. Sie klangen ziemlich unheimlich.
    Überall um sie herum drang ganz leises Geraschel, Knacken, Gurren, Schnippen und Flüstern aus dem Wald. Die Laute waren kaum hörbar, doch sie waren zweifellos da.
    Kay stellte schließlich die Frage, die sich aufdrängte: »Tom, sind wir alleine hier?«
    »Meine liebe Kay, wir sind niemals vollkommen alleine«, antwortete Däumling geheimnisvoll. »Einige Teile der Anderswelt sind lebendiger als die entsprechenden Teile auf eurer Seite. Das ist ganz normal.«
    Sie gingen schweigend nebeneinander her, bis Däumling hinzufügte: »Außerdem haben wir den König aller Reiche bei uns, und er ist bewaffnet!« Artie war nicht sicher, ob Däumling das spöttisch meinte, aber damit hätte er sich auch nicht besser gefühlt. Artie war ein Zwölfjähriger mit einem Schwert, der unterwegs war, um ein anderes Schwert zu holen. Das sollte ihn gefährlich machen?
    Nach ein paar Metern erblickte Artie durch die Bäume ein Blau, wie es blauer nicht sein konnte. Däumling und Kay gingen weiter, während er zum Straßenrand lief. Er bog ein paar dichte Büsche auseinander und dort, nicht weit von ihnen, lag der See.
    Artie rief: »Hey, Leute, wartet mal!«
    Gerade als seine beiden Gefährten anhielten, hörten sie über sich ein furchterregendes Geheul. Sie legten die Köpfe in den Nacken. Zunächst sahen sie nichts. Doch dann tauchte weit über ihnen die Silhouette eines gigantischen geierähnlichen Vogels auf. Er zog weite Kreise am Himmel, auf unsichtbaren Luftströmungen gleitend. Artie vermutete, dass er nach Nahrung suchte.
    Nach etwas wie ihnen vielleicht.
    Däumling rief: »Mein Gott! Schaut euch das an!« Das Kaninchen Vorpal stellte sich auf die Hinterbeine und Däumling straffte die Zügel. Er tätschelte ihm den Hals und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Was ist das, Tommy?«, fragte Kay staunend. »Es ist riesig.«
    Däumling antwortete: »Das ist ein Argentavis magnificens. Der größte Vogel, der je die Lüfte erobert hat, mein Mädchen. Auf eurer

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