Der unsichtbare Turm
einen ihm unbekannten kleinen Jungen in einer rot-blauen Rüstung, dessen großer Helm mit furchterregenden Hörnern versehen war. Er sah eine Eule und einen Mann mit einem Wolfskopf. Er sah ein Heer von Kindern und einen schlichten Kupferbecher. Einen beinlosen Mann, der am Ufer eines schwarzen Flusses saß. Eine leuchtende blaue Linie, die von Dunkelheit umgeben war, so weit man blicken konnte. Er sah Qwon und Kay, Kynder und Lance, Däumling und die Kinder aus der Schule – sogar Frankie Finkelstein. Und er sah Merlin, gefangen in seinem unsichtbaren Turm, wie er manchmal vor Wut brüllte, in anderen Momenten gebrochen war von Einsamkeit und dann wieder schwindlig von Erkenntnis.
Mit einem Mal verstand er ein bisschen Walisisch und Latein.
Und er war sich nicht ganz sicher, aber es fühlte sich so an, als beherrsche er ein wenig Zauberkunst – wie man ein Feuer ohne Zunder entfacht, wie man eine Wunde heilt. Er kannte die Namen von Pflanzen und Blumen, und wie sie als Gifte oder Heilmittel genutzt werden konnten.
Doch das Wichtigste für die momentane Situation war, dass er plötzlich viel mehr über das Kämpfen mit Schwertern wusste.
Der Zauber des Schwertes wurde gebrochen, als das Mädchen säuselte: »Excalibur hat Euch viel offenbart, junger Artus. Zur rechten Zeit wird es Euch noch mehr zeigen.«
Artie wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder Angst davor haben sollte. Dennoch, den Gedanken, noch mehr auf diese Weise zu lernen, fand er ziemlich spannend. Das war auf jeden Fall interessanter, als im Schulunterricht zu sitzen.
Dann sagte das Mädchen: »Lasst Eure Gefährten nicht im Stich.«
Er wandte sich wieder dem Drama zu, das sich in extremem Zeitlupentempo abspielte. Alle hatten sich nur so minimal bewegt, dass sie sich eigentlich noch immer mehr oder weniger an derselben Stelle befanden. Das einzig Seltsame war, dass alle vier – Däumling, Vorpal, Kay und sogar der Drache – ihre Köpfe leicht in Arties Richtung gedreht hatten.
Artie griff hinter sich und legte Cleomedes in Kays Hand. Sie würde froh darüber sein, wenn die Situation wieder in normales Tempo übergehen würde.
Er wandte sich wieder dem Mädchen im See zu und fragte: »Was soll ich jetzt tun?«
»Haltet den Sporn hoch.«
»Den Sporn? Was für einen Sporn?«
Langsam tauchte sie immer weiter ins Wasser hinunter, ihr Lächeln verschwand. Ihre letzte ausgestreckte Fingerspitze tauchte ins Wasser ein. Im selben Moment zwinkerte sie und flüsterte nachdrücklich: »Jetzt!«
Die Heftigkeit des schaukelnden Bootes warf Artie beinahe über Bord. Er bekam einen leichten Schlag in den Bauch, als er gegen die Kante stieß.
Kay schrie: »Was zum …?«
Der Drache schlängelte sich über ihnen. Ein widerliches Gurgeln kam aus der Tiefe seiner Kehle.
Däumling, der die Lage sofort erkannte, schrie: »Was hat sie dir gesagt? Was sollst du tun?«
»Wie ist Cleomedes …«, kreischte Kay, mehr an sich selbst als an irgendwen anders gerichtet.
Artie schrie Däumling zu: »Sie hat gesagt ›Haltet den Sporn hoch‹!«
»Dann tu es, Junge!«
»Was ist ein Sporn?«
»Den Heißsporn! Excalibur! Das Schwert !«
Natürlich! Das Schwert!
Er stieß das Schwert in die Höhe.
Der Drache richtete sich auf. Ein heißer Windstoß wirbelte ihnen von seiner Unterseite entgegen und traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Er erinnerte Artie an die Faust Finkelsteins.
Verfluchter Frankie Finkelstein! Sogar jetzt, in größter Gefahr, konnte Artie ihn nicht abschütteln!
Dann erbebte Excalibur. Artie sah auf. Der Glasaugenknauf seines neuen Schwerts glühte weiß.
Der Drachenkopf kam ihm jetzt bedrohlich nah. Schwarzer, sich kringelnder Rauch wehte aus seinen Nüstern.
Dann, gerade als das Reptil zustoßen wollte, begriff Artie. Er dachte an Licht. An die Sonne, den Mond und das Feuerwerk am Nationalfeiertag.
Und die geballte Leuchtkraft entwich der Klinge in einer blendenden Explosion. Artie schloss die Augen, doch durch die Lider sah er das Licht noch immer.
Der Drache stieß einen schrillen Schrei aus. Diesmal klang er verängstigt. Er wirbelte durch die Luft und wurde sofort dreißig Meter zurückgestoßen. Dann schrie er noch einmal und das qualvolle Geräusch hallte über dem See wider.
Excalibur war zum Leben erweckt. Es stieß einen weiteren grellen Lichtstrahl aus, bevor es erlosch.
Artie öffnete die Augen und sah, dass der Drache in die Höhe stieg. Nach ein paar Metern hielt er kurz inne, blickte sich um und sah Artie
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