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Der unsichtbare Turm

Der unsichtbare Turm

Titel: Der unsichtbare Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Johnson-Shelton
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ihnen verschwand plötzlich. Der elektrische Sturm wogte um sie herum und erleuchtete das Innere des Wagens mit Tausenden Lichtpunkten. Durch eine schmale Reihe von Bäumen hindurch konnten sie in etwa zweitausend Metern Entfernung eine Straße ausmachen.
    Dann machte es plötzlich Rumms! . Ein Wirbelwind war zu ihrer Rechten heruntergekracht. Lance riss das Steuer hart nach links und für einen Moment hoben sie vom Boden ab.
    Arties Gesicht wurde ans Seitenfenster gedrückt und so konnte er gar nicht anders, als hinauszuschauen. Alles dort draußen war grau und grün und schwarz. Es war grauenhaft.
    Doch dann sah er etwas noch viel Schlimmeres und ihm wurde auf einmal eiskalt. Im Inneren der Windhose war das Bild einer in lila und blau gehüllten Person zu sehen, die nach dem Wagen griff. Ihr Gesicht war durch den heftigen Sturm verdunkelt, doch er konnte ein spitzes, blasses Kinn und einen weit aufgerissenen Mund erkennen. Er fühlte das Verlangen und die Stärke der Person. Fühlte sie greifen, greifen, greifen …
    Die Blitze brandeten auf und die Gestalt wich zurück. Die Wagenräder kamen auf dem Boden auf und gruben sich in die Erde. Sie wurden nach vorne katapultiert. Das Telefon aus der Anderswelt wurde vor Arties Füße geschleudert.
    »Ruf ihn an, Bursche! Öffne das Tor!«
    Artie zwang sich, das Gesicht im Tornado zu vergessen und griff nach dem klobigen Telefon. Er wählte die Nummer auf dem Zettel. Die Hörmuschel produzierte ein unregelmäßig klickendes Geräusch, wie das Zirpen einer Grille. Artie vermutete, dass es das Tuten des Telefons war.
    Ungeduldig drängelte Däumling: »Nimmt er ab?«
    »Noch nicht.«
    »Wie weit ist es noch, Herr Lance?«, schrie Däumling.
    »Noch tausend Meter!«
    Schließlich war eine knisternde Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören. »Guten Tag, werter Herr. Ich bin froh, dass Ihr …«
    »Nicht jetzt, Bercilak! Öffne das Tor!«
    »Das Tor?« Er machte eine Pause und stieß dann hervor: »So früh? Seid Ihr sicher?«
    »Ja, ich bin sicher! Wenn du das nicht tust, werden wir verschlungen von einem …«
    Und dann war sie plötzlich da, mit einem lauten Bumm , das die Luft um sie herum zusammendrückte und ihnen den Atem nahm. Die Blitze verschwanden, mit ihnen ein Großteil von Arties Mut.
    »Ach du heilige …!«, schrie Kay.
    Die Windhose wirbelte vor ihnen. Die Motorhaube des Wagens flog auf, sie wurden mit den Vorderrädern voran in die Luft gehoben und drehten sich jetzt wie ein Kreisel. Artie kniff die Augen zusammen, während er sich das Telefon ans Ohr presste und schrie: »Öffne das Tor! Öffne das Tor! Öffne das Tor!«
    Er konnte nur Fetzen dessen verstehen, was am anderen Ende gesagt wurde: »Ich kann nicht … Sir … seid Ihr … was.«
    Dann erschütterte ein heftiger Aufprall ihre Rücken und Beine. Sie brauchten einen Moment, um zu merken, dass es plötzlich ruhig war und sie still standen.
    Sie öffneten die Augen. Die Motorhaube des Wagens war wieder geschlossen und sie schauten durch die Windschutzscheibe – die wie durch ein Wunder heil geblieben war – hinauf in den Himmel. Und dort, nicht weit von ihnen, war von unten die schwindende Form eines Tornados zu sehen, durchbrochen von blauen Blitzen.
    Das Auto saß, auf dem Reserverad wippend, mit dem Heck auf dem Feld.
    Däumling fragte: »Geht’s euch allen gut?«
    Artie, Kay und Lance bejahten nacheinander die Frage.
    Artie hörte Bercilak schwach durch das Telefon. Er presste es an sein Ohr. »Sir, geht es Euch gut?«
    »Ich denke schon, Bercilak. Was auch immer du getan hast, es hat funktioniert.«
    »Den Blättern sei Dank! Was auch immer das war, es klang grauenvoll.«
    »Das war es.« Artie stand noch immer unter Schock. »Was hast du getan?«
    »Nun, ich habe das Tor geöffnet.«
    »Das Tor wohin?«
    »Das Tor auf der Rückseite Eures Exil-Königshofes natürlich. Wenn Ihr das nächste Mal hier seid, werdet Ihr gebührend zu Hause empfangen werden!« Bercilak klang triumphierend. Bevor Artie noch etwas sagen konnte, brach die Verbindung ab.
    Völlig erschöpft ließ er das Telefon sinken.
    Artie sah seine Schwester an. Sie zog die Augenbrauen hoch und lächelte schwach. Däumling, der in Arties Hemd gefallen war, tätschelte ihm die Brust. Lance stieß ein urschreimäßiges »Wooohooo!« aus. Sie begannen zunächst leise und dann immer lauter zu lachen, und nach zwanzig Sekunden fiel ihnen auf, dass Kynder mitlachte.
    Nachdem sie sich beruhigt hatten, fragte er verzweifelt:

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