Der unsichtbare Turm

geschlagen. Der Nieselregen verwandelte sich plötzlich in einen heftigen Guss und dicke Tropfen klatschten auf die Blätter, als würden sie applaudieren.
    Sie gingen zum Feuer.
    Artie fragte: »Habt ihr welche getötet?«
    »Nein, Majestät«, antwortete Bedevere. Däumling, der stark schwitzte, schüttelte den Kopf. Artie wusste bereits, dass auch Kay keinen Wolf getötet hatte.
    Er sagte: »Gut. Ich bin froh darüber. Irgendetwas an diesem Rudel ist merkwürdig.«
    »Das stimmt, Majestät«, bestätigte Bedevere.
    »Bevor das alles anfing, habe ich etwas gesehen – während ihr noch geschlafen habt. Ach ja, übrigens: Wie kommt es, dass ihr alle geschlafen habt?«
    »Es tut mit leid, Artie«, sagte Däumling.
    »Mir auch«, fügte Kay hinzu. »Aber ich hatte gerade so einen schönen …«
    Ein Krachen und ein kurzer Luftstoß unterbrachen Kay. Sie konnten gar nicht so schnell gucken, wie Artie verschwunden war. Kay drehte sich um und sah ihn mit dem größten Wolf am Unterschlupf vorbeirollen, den sie jemals gesehen hatte. Dieser war gerade noch nicht dabei gewesen.
    Er hatte gewartet.
    Artie spürte das nasse Fell des Tieres in den Fäusten und roch seinen widerlichen Atem, als es nach seinem Gesicht schnappte. Steine, Äste und Wurzeln rammten sich in Arties Rücken und Seite, während sie sich eine scheinbare Ewigkeit auf dem Boden wälzten. Schließlich hielten sie an und sprangen auf die Füße. Artie hatte Excalibur verloren, doch er hatte noch immer Carnwennan, den Dolch.
    Der Wolf knurrte wütend – und wie. Das war kein einfaches Grollen. Das war das Geräusch eines hasserfüllten Beschützers.
    Artie war sofort klar, dass dies die Leitwölfin des Rudels sein musste.
    Ein Blitz leuchtete auf, bei dem er einen Blick auf seine Gegnerin erhaschen konnte. Sie war gut zwei Meter groß.
    Artie hätte Angst haben müssen, doch er war eher wütend. Mit welchem Recht war diese Wölfin so aufgebracht darüber, dass König Artie und seine bis dahin friedlich schlummernden Ritter ihr Rudel in den nächtlichen Wald zurückgetrieben hatten?
    »Komm schon!«, schrie er, wobei seine Stimme sich peinlicherweise überschlug, als würde er quer über einen Spielplatz schreien.
    Die Wölfin knurrte und sprang. Artie rannte ihr entgegen.
    Krachend prallten sie aufeinander. Die Hörner von Arties Helm trafen die Wölfin direkt unter der Schnauze und drängten ihren Kopf nach oben, von ihm weg. Ihre Gurgel war jetzt direkt vor ihm. Artie hieb seinen Dolch hinein, das Geschöpf heulte auf und brach zusammen.
    Außer Atem stand Artie über dem bezwungenen Tier und mit einem Mal fiel seine ganze Wut von ihm ab.
    Blitze erhellten den Himmel. Das Blut der Wölfin rann über den feuchten Boden.
    Artie trat zurück. Plötzlich hörte der Regen auf, als wäre er abgeschaltet worden.
    Es wurde still im Wald. Artie ließ sich auf die Knie fallen und Tränen traten ihm in die Augen.
    Er konnte nicht glauben, dass er dieses wunderschöne Wesen getötet hatte.

Kapitel 19
    IN DEM ARTIE EIN GEGENGEFALLEN VERSPROCHEN WIRD
    »Hier drüben!«, rief Artie.
    Seine Freunde kamen aus dem Dickicht, Vorpal bildete die Nachhut. Kay trug Cleomedes und Excalibur. Als die Gruppe bei Artie ankam, reichte Kay Artie sein Schwert. Er bat es um mehr Licht und es tat ihm den Gefallen.
    Kay betrachtete den grauen Haufen zu Arties Füßen. »Hoppla. Warst du das, Brüderchen?«
    »Ja«, bestätigte Artie leise.
    »Gut gemacht, Majestät«, lobte Bedevere.
    Artie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Bedevere. Ich glaube nicht, dass das passieren sollte.«
    Däumling trat neben Artie und legte ihm eine Hand aufs Bein. »Du hast getan, was du tun musstest, Artie. Es tut mir leid, aber so läuft ein Kampf nun mal.«
    Artie nickte, ließ aber die Schultern hängen. Er hoffte, dass Lord Numinae nicht gesehen hatte, wie er dieses Tier getötet hatte. Er fühlte sich alles andere als königlich.
    Bedevere streckte plötzlich die Hand nach Arties Nacken aus. »Majestät – Ihr seid verletzt!«
    Artie linste auf seine Schulter. »Ja, das war ich, aber die Schwertscheide hat die Wunde sofort heilen lassen.«
    Bedevere untersuchte Arties Schulter. Er sah viel getrocknetes Blut, jedoch keine offene Wunde. Stattdessen war da eine etwa sieben Zentimeter lange, linienförmige Erhebung – wie eine Wunde, die fachmännisch genäht worden war und mehrere Wochen Zeit zum Heilen gehabt hatte. »Erstaunlich«, flüsterte Bedevere.
    Artie sprang auf. »Das ist es!