Der unsichtbare Zweite
Druck ihres Händchens um meinen Ellbogen süß?
»Aber ich bin doch extra deinetwegen gekommen; kaum habe ich erfahren, dass Migliarini dich herschickt, bin ich losgesaust. Jetzt enttäusch mich nicht, Slucca, erzähl mir, spiel nicht den Geheimnisvollen.«
Extra meinetwegen?
»Los, zittere doch nicht so, Slucca, was ist das für ein Geheimnis? Ich sage es auch niemandem weiter.«
Ein Geheimnis? Ja, ich zittere; tatsächlich zittern meine traurigen Lippen. Aber dann öffnen sie sich und sagen unerbittlich: »Hier muss ein Missverständnis vorliegen.«
»Warum? Wozu bist du hier? Wieso hat Migliarini dich geschickt?«
»Er hat mich als Friedenssignal geschickt.«
Die junge Frau löst mit einem Ruck die Hand von meinem Arm (ein grausamer Ruck, Slucca, eine tragische Amputation) und bedeckt damit ihren Mund, versucht, ein Lachen zu verbergen.
»Slucca, wo lebst du nur?«
Hier, auf diesem Kai des Hafens von Follonica, hier ist in diesem Augenblick für Slucca das Leben.
»Aber die Malvolio hat sich richtig gefreut, als sie mich gesehen hat, sie ist mir entgegengesprungen wie ein Hirtenhund aus den Maremmen.«
Das Mädchen dreht sich um, heißt auch mich zurückblicken. »Schau doch!«
Zwanzig Meter weiter dort hinten steht die schwarz-schokoladenbraune Dame immer noch inmitten ihres festlichen Grüppchens. Aber der Blick, den sie uns jetzt zuwirft, ist beunruhigend.
»Sie hat Angst«, sagte Lauretta, »sie ahnt etwas.«
»Aber was denn?«
»Das musst du mir sagen, Slucca, du bist doch das Signal. Und was mich angeht, bist du ein Signal der Gefahr. Migliarini will sich vermutlich irgendwie wegen dieser Geschichte mit dem afrikanischen Projekt an ihr rächen, das muss dahinterstecken, wenn du mich fragst.«
In Rom steckt hinter allem und jedem etwas anderes, unter dem Nudelteller der Dolch, unter dem Rosenstrauß die Kobra, hinter dem Kuss Marylin Monroes der Kuss Draculas. Es ist ein einziges großes Fest für die Dahinterologen, und das sind alle. Außer mir, der ich mich immer noch an das halte, was man mir sagt, der ich am Schein festklebe. Ich bin »ein eiserner Davorologe«, wie der ironische Vasone zu sagen pflegt.
»Ich weiß nichts von diesem Afrikaprojekt«, protestiere ich.
»Sie hat es sabotiert, und er will sich rächen. Du bist die Rache, Slucca!«
Ich stampfe heftig mit dem Fuß auf. »Aber ich will niemandes Rache sein, ich mache da nicht mit. Ich mische mich doch nicht in die Kompetenzen des Allmächtigen ein. Mein ist die Rache , sagt der Herr in der Bibel, und mir ist das recht. Soll doch ER dafür sorgen, ich bestimmt nicht, ich bin doch nicht verrückt!«
Lauretta führt mich kopfschüttelnd wieder auf Onorevole Minima Malvolio und ihre forschenden Blicke zu.
»Slucca, mein Lieber, ich glaube, du wirst hier instrumentalisiert.«
Mir bricht der kalte Schweiß aus. Dieses Zeitwort wird in der Welt der Politik dauernd verwendet, meistens im Passiv, und ist äußerst gefürchtet. Es gibt kein Seufzen, kein Hüsteln, kein Beine überschlagen, kein Flüstern eines Parlamentariers ins Ohr eines anderen Parlamentariers, das nicht instrumentalisiert werden könnte. Der Schrei »Die wollen mich instrumentalisieren!« ertönt in Montecitorio wie der verzweifelte Hilferuf eines jungen Mädchens, das unvorsichtigerweise nach Mitternacht in den alten Ford von fünf erotisch unkorrekten Marokkanern eingestiegen ist. Dem alten Senator Portis zufolge, der ein wenig unser aller historisches Gedächtnis verkörpert, hat dieser Schrecken vor der Instrumentalisierung althergebrachte konkrete Ursprünge, er geht auf die heroischen Zeiten unserer Politik zurück, auf das Jahr 1948, als Onorevole Dragonero von zwei kommunistischen Kollegen als Rammbock benutzt wurde, um die Tür aufzubrechen, hinter der eine geheime Versammlung titoistischer Ketzer im Gange war (zum Glück hatte er eine Baskenmütze auf). Und in neuerer Zeit gibt es niemand, der sich nicht an die Instrumentalisierung erinnerte, die Onorevole Luigi (Vigin) Gay aus Pinerolo erfahren musste, als er durch Zufall in Bologna bei einer Demonstration der Bewegung »Homosexueller Stolz« am Straßenrand stand und von vier Lesben auf die Schultern gehoben und im Triumph durch die Stadt getragen wurde. (»Lasst mich herunter!« brüllte der Unglückselige. »Ich bin Gay, Onorevole Gay!« Und die: »Bravo, Bruder, genau!«)
»Sei vorsichtig, Slucca«, murmelt das Mädchen, »halt die Augen offen.«
Meine aufgerissenen Augen sehen ein
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