Der unsichtbare Zweite
starke Signale des Niedergangs schickt und ich noch nicht entschieden habe, ob ich ihn überholen lasse oder endlich einen neuen kaufe, vielleicht diesmal nicht in Dunkelblau.
Am Bahnhof von Follonica holt mich Ciacci ab, einer aus unserer Partei, der den Auftrag hat, mich direkt zum Hafen zu bringen, den ja wirklich kein Mensch, Vasone darf ganz ruhig sein, mit dem Hafen von Hamburg oder von Rotterdam vergleichen will. Aber immerhin schaukeln eine Menge Privatwasserfahrzeuge, kleine und große, entlang der Mole auf dem Wasser, und am Ende des Kais springt einem sofort etwas wie ein riesiges schwimmendes Bündel ins Auge.
»Das ist sie«, sagt Ciacci.
Und er erklärt mir, dass wegen mangelnder Strukturen des Hafens ein traditioneller Stapellauf nicht möglich ist. Die Fähre ist auf Gummiwalzen aus der nahe gelegenen Werft herüber transportiert, ganz unzeremoniell ins Wasser gelassen und dann mit Plastikbahnen eingepackt worden.
»Wir werden also nicht das feierliche Schauspiel der ins Wasser gleitenden Che haben, aber als Entschädigung wurde an das Schauspiel einer Denkmalenthüllung gedacht.«
»Dann ganz ohne Flasche?«
»Doch, doch, die Flasche kommt auch, aber erst wenn das Paket sozusagen ausgepackt worden ist. Erst wird das Schiff von der Plastikhülle befreit. Das Schauspiel wird also weniger die Symbolkraft Stapellauf als die Symbolkraft Geburt haben.«
»Oder die Symbolkraft Weihnachtsmanns «
Ich verstehe nichts von Schiffen, aber dieses um und um mit dicken Tauen verschnürte Paket wirkt schon recht eindrucksvoll, es ist immerhin fünfzehn bis zwanzig Meter lang und strahlt, wie es sich da leicht auf dem trüben Wasser wiegt, die ruhige Sicherheit eines Seewolfs aus, der schon ganz andere Abenteuer erlebt hat. In weniger als einer halben Stunde soll die Zeremonie beginnen, und die jungen Leute des sozialen Vereins sind schon versammelt; da vorn stehen sie in ihren mehr oder weniger zerfetzten Jeans und ihren bunten T-Shirts mit dem gedruckten Kopf von Che oder Kolumbus auf der Brust, oder auch mit dem eines strengen Marineoffiziers, der laut Ciacci der Kapitän der »Titanic« sein soll.
»Die machen eben gern einen kleinen Spaß«, beruhigt mich Ciacci, als er sieht, dass ich die Finger kreuze. »Du weißt ja, in der Toscana scherzt man gern.«
In der Tat sehe ich in der Gruppe einen Mann um die Vierzig, der scherzt, lacht, mehr herum hampelt als die übrigen. Seine T-Shirtbrust ist mit dem Kopf einer nicht sofort identifizierbaren Frau bedruckt (Schauspielerin, Sängerin, Wissenschaftlerin, Revolutionsheldin?), und darunter ist in dicken Lettern geschrieben: »I © MIMMA«. Ich kapiere nicht gleich. »Das Herz«, erklärt mir Ciacci, »steht für love, Liebe.« Aha, das soll also heißen »I LOVE MIMMA«, eine zärtliche private Huldigung, die er für seine Freundin hat machen lassen, oder vielleicht für seine Tante? Nein, nein, Minima ist Onorevole Minima Malvolio, die Patin, die sich so sehr für das Gelingen dieser Initiative eingesetzt hat, eine kleine, sympathische Ehrung. Ach, wann je, frage ich mich, plötzlich ganz melancholisch geworden, wann je werde ich ein T-Shirt mit meinem Kopf und dem Schriftzug »I © SLUCCA« sehen?
Das T-Shirt ist rot, der gedruckte Kopf schwarz, während die Malvolio einen dicken dunkelblonden Schopf hat, aber sie ist es tatsächlich, man hat eine Fotografie von ihr verwendet, auf der sie selbstverständlich lächelt. Sie ist nämlich eine Frau von stoischem Charakter, sagt Migliarini, sie lächelt sogar noch, wenn sie im Spiegel ihr Gesicht sieht. Und wirklich kommt nach einer Minute ein dunkelblauer Wagen angerollt, der Fahrer öffnet den Schlag, zwei Schutzleute stehen stramm, sie steigt aus und lächelt verschiedenen lokalen Beamten zu, umarmt lächelnd den Vizebürgermeister (der Bürgermeister hat nicht kommen können, er ist in Freiburg auf einem Kongress der Bürgermeister der europäischen Städte, die mit F anfangen, Fulda, Fossombrone, Frankfurt, Fontainebleau, Foggia, Fuentes de Ebro usw. usw.). Sie geht auf das schwimmende Paket zu und umarmt alle Mitglieder des SVCS (Sozialer Verein »Che« Siempre), umarmt und küsst überschwänglich den »I © MIMMA«-Mann, dann entdeckt sie mich und stürzt zu mir, um auch mich zu umarmen. »Slucca, was für eine Ehre!«
Sie wird nicht mit dir sprechen, hatte Migliarini versichert; und da stehe ich jetzt und weiß nichts zu sagen. Ich lüge.
»Weißt du, ich war gerade in der Gegend, und da habe ich
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