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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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mir gedacht ...«
    Sie kneift mich lachend in die Seite. »Du brauchst keine Ausreden zu erfinden, Slucca, ich weiß, dass du ein Signal bist, und dazu eins, das ich nicht erwartet hätte.«
    Schon hat sie mich demaskiert. Immer noch lachend, hängt sie sich bei mir ein, entfernt sich mit mir von der Gruppe der andern, senkt die Stimme. »Also, dann hat Migliarini es nicht allzu schlimm übel genommen?«
    »Ah, böh, ich weiß nicht, ich glaube nicht«, rudere ich im Ungewissen. Aber ich ahne, dass ich als ein Signal des Friedens geschickt worden bin. Umso besser, umso besser - auf die Feindschaft dieser großen, starken, energischen Frau, die heute ein weites schwarz-haselnussbraun kariertes Kostüm trägt, ist man nicht gerade scharf wie auf einen Jackpot im Lotto.
    »Ich freue mich, dass auch er eingesehen hat, dass das Projekt impraktikabel war«, sagt sie liebevoll zu mir. »Ich war ja sehr aktiv, ich habe getan, was ich konnte, aber die beiden betroffenen Minister haben sich zurückgezogen, und an diesem Punkt ...«
    An diesem Punkt weiß ich weniger denn je, aber ich murmle diplomatisch »Klar, eben, eben« und lasse mich wieder zu dem Schiffspaket zurückführen, vor dem sich inzwischen außer den Lokalautoritäten und ihren Verwandten auch Vertreter der sozial schwachen Schichten versammelt haben, ein Häufchen Kinder, Rentner, alte Weiblein, Neugierige. Auch ein Priester ist da, gekleidet wie ein Walfänger aus Nantucket, mit einem afrikanischen Holzkreuz um den Hals, das vorn auf seinem grauen Pullover hin und her baumelt. Alles scheint bereit zu sein, drei oder vier junge Leute vom SVCS steigen behände auf das Riesenbündel und beginnen mühsam, die Taue zu lösen, mit denen die großen Plastikbahnen festgezurrt sind, sie arbeiten sich vom Bug bis zum Heck vor, wo wir wartend stehen. Und nach und nach enthüllt sich die Fähre in ihrer ganzen strotzenden Vitalität und entreißt der Menge ein langes bewunderndes »Ohhh!«. Das »Ohh!« aus Minima Malvolios Brust übertönt alle anderen, mein persönliches »Ohhh!« wird davon verschluckt, aber es ist ehrlich und zählt auch.
    Diese jungen Sprayerkünstler haben den Kiel und die Aufbauten mit knallbunten Kurven, Spiralen, Punkten, Kringeln, Pickeln, Beulen bedeckt, wie man sie auf gewissen Eisenbahnwaggons, verlassenen Fabrikgebäuden und auch Straßenbahnen sieht. Als Dekoration ist es ja nicht gerade originell, und es ist auch immer ein bisschen das gleiche, aber an einem Schiff habe ich das noch nie gesehen, und in diesem ersten Augenblick bereue ich es nicht, die weite Reise zu der Vernissage gemacht zu haben. Aber im nächsten Augenblick bereue ich es. Von hinten am Kai braust mit unverschämter Geschwindigkeit ein Motorrad von furchterregender Potenz heran, rast donnernd durch die sozial schwachen Schichten, die nach allen Seiten flüchten müssen. Alle springen erschrocken auseinander, die Schutzleute rennen herbei, aber die beiden Motorradfahrer — schwarzer Helm, schwarzer Lederanzug, schwarze Handschuhe - lassen sich nicht aufhalten, bäumen sich noch einmal auf und sind bei uns vor dem Klapptischchen, auf dem die Sektflasche steht. Ein letztes ohrenbetäubendes Röhren, und der Motor verstummt, die beiden steigen ab, der Fahrer reißt sich den Helm vom Kopf, schüttelt die blonden Locken.
    »Ah, Slucca, Gott sei Dank, da bist du ja!«
    Es ist Lauretta, die rasende Fernsehreporterin, mit ihrem Kameramann. Es ist ein Signal, aber gewiss nicht des Friedens und der Ruhe.
    Onorevole Minima Malvolio lächelt wie angesichts einer Mehrheit persönlicher Stimmen von vierundachtzig Prozent; auf das Interesse des Fernsehens hatte sie gar nicht gehofft, und sie ist eine Frau - sagt Migliarini von ihr —, die, wenn sie ein atemberaubendes Model auf der Piazza di Spagna vorbeischreiten sieht, dieses weder um sein Kleid noch um seine Beine, noch um seinen Glamour beneidet, sondern einzig und allein darum, dass aller Augen auf es gerichtet sind.
    »Liebste!« ruft sie mit Heroldsstimme. »Das ist ja toll, dass du gekommen bist!«
    »Pflicht«, sagt die junge Frau knapp, dann aber hakt auch sie sich bei mir ein (ein ganz anderes Händchen ist das, Slucca, es fühlt sich ganz anders an) und macht ein paar Schritte am Vizebürgermeister vorbei, während der Kollege die Fernsehaufzeichnung des Ereignisses vorbereitet.
    »Slucca, also, was ist Sache? Sag es mir!« Der Ton ist vertraulich, drängend.
    »Was soll ich dir denn sagen?«
    Dass ihr Griff fest ist, der

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