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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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richtige, immer schien es, er würde jetzt gleich kommen, aber dann kam er doch nicht, es war nicht der richtige Augenblick, der Augenblick war unweigerlich verfrüht, ungünstig, falsch, auf den richtigen musste man noch warten.
    Um mehr über die Voraussetzungen zu erfahren, beschloss nun Migliarini, zu den drei oder vier Orten zu gehen, an denen in Rom die Voraussetzungen geradezu geschaffen werden. Es sind politfinanzkulturelle Salons, die von Damen geleitet werden (»Maitressen« nennt sie leichtfertig witzelnd Vasone, der aber, wie ich, dort nicht verkehrt, nicht zur creme gehört) und die vor allem mit einem anspruchsvollen diplomatischen Service ausgestattet sind. »Zimmerservice«, sagt der leichtfertige Vasone, und ich weiß wohl, dass andere derb über diese Damen spotten, die, ihren Verleumdern nach, nur von Snobismus beseelt sind, von der Sucht, dazuzuzählen, zu intrigieren, les grandes affaires zu sponsern wie in den französischen salons des achtzehnten Jahrhunderts, von denen diese lächerlichen Nachahmerinnen inspiriert sein wollen. Aber es ist leicht, sich über etwas lustig zu machen.
    »Es ist natürlich nicht zu leugnen«, legte Migliarini mir dar, »dass man hier weder Voltaire noch Diderot, noch den Prince de Ligne trifft, aber es ist ebenso unwiderlegbar, dass jene legendären salons das Vorzimmer zur Guillotine waren, während du diesen hier im heutigen Rom höchstens einen kleinen Schnitt mit dem Scherchen anlasten kannst, wenn du dir in aller Eile die Haare in den Nasenlöchern schneidest, bevor du hingehst. Kurz, die Gefahren sind minimal: ein Pflaster drauf und fertig.« Ich fasste mir an die Nase.
    »Heute Abend will ich dich dabeihaben, Slucca, du kannst mir dort nützlich sein. Ich erteile dir hiermit einen offiziellen geheimen Forschungsauftrag.«
    Ich blickte auf meine Krawatte. »Aber ich bin doch nicht eingeladen, ich gehöre nicht zur creme, und diese Krawatte ...«
    »Ich kann mitbringen, wen ich will. Und mit jeder beliebigen Krawatte. Du wirst mit offenen Armen empfangen werden, Slucca, ob Creme oder Zabaione. Sei ganz ruhig und komm.«
    Der salon dieser Dame war in einem alten, düsteren Palazzo im ersten Stock. Er ging rings um einen Innenhof, in dem das Plätschern eines Brunnens zu hören und ein paar Statuen zu sehen waren. Weitere Statuen und große Masken schmückten die Wände des weitläufigen Treppenhauses, aus dessen Dämmer gerade eine Gestalt auftauchte, die vorsichtig die Stufen hinunter stiefelte. Es war der alte Senator Portis, unser historisches Gedächtnis, der sich zum Beispiel noch daran erinnert, dass im Jahr der Ermordung Kennedys, 1963, Onorevole Arduino fünf Millionen Lire im Fußballtoto gewonnen hat. Ich sah, dass Migliarini, um sich nicht persönlich zu exponieren, zur Seite trat, und so stellte ich die Frage.
    »Also, was ist, Herr Senator, sind die Voraussetzungen gegeben?«
    Er blieb auf seinen Stock gestützt stehen. »Wie es scheint, sind sie nicht gegeben«, sagte er feierlich. »Mulas besteht trotz des halben Einlenkens von Riva auf seinem Veto. Sie machen sich nicht klar, dass das Land im gegenwärtigen Augenblick in ernster Gefahr ist.«
    Der Stock rutschte ihm auf der ausgetretenen Steinstufe aus, und der Senator fiel mir in die Arme. In der Dunkelheit erkannte er mich nicht. »Und wer ist der da?« fragte er Migliarini, sich irritiert von mir lösend.
    »Ein Kollege, es ist Slucca.«
    »Ah, bravo, Slucca, halten Sie durch. An dem Punkt, an den wir jetzt gekommen sind, muss jeder seine Verantwortung auf sich nehmen. Sagen Sie das auch dem Grafen, für den wir die größte Achtung hegen. Integer vitae scelerisque purus ... Das muss er sich zum Wohl des Landes immer vor Augen halten, erinnern Sie ihn daran, Slucca, unbedingt.«
    Er gab mir mit seinem Stock einen leichten Schlag auf die Schulter und machte sich zwischen den feuchten Wänden des Treppenhauses wieder an den Abstieg.
    »Was hat er damit sagen wollen ?« fragte ich Migliarini, aber der war schon drei Stufen weiter oben und antwortete mir nicht.
    Doch jenseits der weit offenstehenden hohen Tür machte der Ausspruch des Senators bereits die Runde, oder vielleicht hatte ja er ihn aus fremdem Munde zwischen einem Stuhl und einem Sofa aufgeschnappt. Als ich von Zimmer zu Zimmer ging, sah ich viele Stühle unterschiedlichster Formen und die verschiedensten Sofas, die aber kaum besetzt waren. Die Creme stand da (ein imposanter Anblick) und sagte in drohendem Ton zueinander: »Ihr müsst

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