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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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Pendlerzug fuhr auf sie auf und stürzte auf das Nebengleis, wo eine alte Dampflokomotive daher-puffte (natürlich ohne Dampf). Es war, als wohnte man en miniatme dem Untergang des Römischen Reiches bei. Die blitzartige Serie der Entgleisungen schloss Trotzkijs Panzerreisewagen ein, einen mexikanischen Zug, den amerikanischen Interkontinental, 20. Jahrhundert, einen Settebello, zwei Luftabwehrzüge mit ihren auf die Freskendecke gerichteten Kanonen, und hintereinander alle anderen. Ein absolutes Chaos, Rädchen drehten sich tragisch im Leeren, Alarmglöckchen klingelten, wahnsinnig gewordene Schranken gingen auf und zu, schrilles Pfeifen erscholl, Minisirenen fiepten.
    Der Marchese verlor seinen Aplomb. Statt einfach das ganze Schaltbrett abzustellen und mir, meinetwegen auf Englisch, zu sagen, der kleine Zwischenfall sei völlig unbedeutend, attackierte er mich. Mit einem wütenden Handschlag stieß er mich weg und schrie: »Wer sind denn Sie, was wollen Sie? Sehen Sie, was Sie hier angerichtet haben!«
    »Wer soll das schon sein?« bemerkte eine schneidende Stimme hinter uns. »Das ist Slucca, Migliarinis gedungener Killer!« Wie eine gewaltige schwarz-haselnussbraun karierte Säule ragte Onorevole Minima Malvolio über uns auf. Sie zog mich hoch. »Verschwinde hier, Slucca, mach eine Fliege!«
    »Aber ich sollte doch ... Der alte Portis hat mir doch ...«
    »Lass gut sein, Slucca, für dich sind hier keine Voraussetzungen gegeben. Geh jetzt, geh mit Gott, hau ab!«
    An diesem Punkt konnte mein offizieller Forschungsauftrag als beendet angesehen werden. Ich schnappte mir von einem Tablett ein Glas Wasser und durcheilte Salon für Salon und Salönchen den Rest des Gevierts, bis ich Migliarini wiederfand, der in der Nähe der Eingangstür stand. Er hob fragend das Kinn, und ich machte mit dem Finger das Zeichen für nein. Darauf löste er sich aus seiner Gruppe und trat zu mir. Er lutschte Lakritze und hatte etwas geschwärzte Lippen.
    »Also hör, Slucca«, sagte er geheimnisvoll flüsternd, »jetzt sag ich meinem Fahrer Bescheid und schicke dich zu der anderen, vielleicht wissen sie dort etwas Neues über die Voraussetzungen.«
    »Was für eine andere denn? Wer?«
    »Schhhht!« Ein Spray Lakritze. »Keine Namen, um Gottes willen, sie sind Erzfeindinnen.« Er rief per Handy seinen Fahrer und schob mich zur Tür.
    »Aber müsste ich mich nicht wenigstens verabschieden?«
    »Du kommst ja dann wieder, um mir zu berichten. Los, Slucca, lass uns jetzt nicht weitere Zeit verlieren.«
    Ich stieg die dämmerige Treppe hinunter, und auf halbem Weg, vor einer eingemauerten Steintafel mit zerbrochenem Rand, stieß ich fast mit Vasone zusammen, der keuchend heraufkam.
    »Wo rennst du denn hin?«
    »Ich weiß es nicht, Migliarini schickt mich zu einer, die die Erzfeindin von der da ist.«
    »Ah, das ist sicher die Firstdoofy, von dort komme ich gerade. Und hier bei der Firstdomina, wie ist die Stimmung?«
    »Die Voraussetzungen sind nicht gegeben.«
    »Aber auch dort hat keiner eine Voraussetzung gesehen!«
    »Und was sollen wir jetzt machen?«
    Wir blieben stehen und betrachteten die alte Marmortafel, die dicht von verwitterten Lettern bedeckt war: C X L M D, vielleicht die Botschaft eines Konsuls an einen Senator vor zweitausend Jahren.
    »Böh, hör mal, ich habe einen informellen Erkundigungsauftrag und muss ihn irgendwie zu Ende bringen«, seufzte schließlich Vasone. »Ich gehe jetzt trotzdem rauf, wir sehen uns dann zu Hause.«
    Ich ging zu dieser Firstdoofy (eine zweifellos von der Firstdomina in Umlauf gesetzte Gemeinheit), aber ich habe sie nicht einmal gesehen, denn als ich vor den erleuchteten Fenstern einer Villa in Parioli ausstieg, kam Senator Portis heraus. Er sah mich, schwenkte seinen Stock durch die Luft und schrie: »Sie sind da, sie sind da!«
    »Wer ist da, was ist da, Herr Senator?«
    »Die Voraussetzungen doch, was denn sonst? Und nicht nur das, sie sind objektiv. Die objektiven Voraussetzungen sind gegeben!«
    Er war völlig euphorisch. Auch er hatte Lakritze gelutscht, und die Worte flössen ihm süß über die speichelglänzenden Lippen.
    »Es ist eine große Anstrengung der Wiederannäherung gemacht worden, eine Anstrengung, auf die ich schon lange gehofft hatte, und jetzt erkennen alle mit großem Verantwortungsgefühl an, dass die Voraussetzungen gegeben sind. Gehen Sie, Slicco, gehen Sie sofort zum Grafen und sagen Sie ihm, er möge den Champagner entkorken lassen, hier wird schon angestoßen. Ich

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