Der unsichtbare Zweite
eure Verantwortung auf euch nehmen!« oder auch: »Wir nehmen unsere Verantwortung auf uns, aber jeder muss seine auf sich nehmen!« Die Dame des Hauses stand im dritten Salon und sagte zu einer Gruppe der allercremigsten creme de la creme: »Also, meiner bescheidenen Meinung nach sollte doch jeder seine Verantwortung ...« Sie unterbrach sich, als sie Migliarini sah, umarmte und küsste ihn und flüsterte ihm zu: »Sind sie jetzt gegeben oder nicht?«
»Meines Wissens nicht«, sagte Migliarini, »aber ich habe unserem Slucca hier einen offiziellen geheimen Forschungsauftrag erteilt, um herauszufinden, wie die Dinge im Überblick wirklich stehen. In einer halben Stunde werden wir es erfahren. Geh jetzt, Slucca, geh ruhig.«
Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, mich der Dame vorzustellen. Sie war zaundürr, hatte pechschwarzes, zu einem strengen Knoten nach hinten gezurrtes Haar wie eine Ballerina an der Scala, und zwei glitzernde Kugeln baumelten an ihren Ohrläppchen. Und schon hatte sie Onorevole Riccomagno unter den Arm genommen und ging eifrig redend mit ihm davon. Und ich fühlte mich gleich darauf wie ein Vogel von Minima Malvolio ins Visier genommen, die von der Mitte des anschließenden Salons aus mit glühenden Augen wie aus zwei polierten Gewehrrohren auf mich anlegte. Ihr Kostüm aus rauem, schwarz-haselnussbraun kariertem Stoff schien eigens für einen Jagdausflug gefertigt zu sein.
Der unschätzbare Vorteil dieser alten römischen Häuser mit ihren Zimmerfluchten ist der, dass man sie in einer Richtung um das ganze Geviert herum durchschreiten kann, oder, wenn man plötzlich Minima Malvolio vor sich sieht, auch in der anderen. Ich brauchte nur auf dem Absatz kehrtzumachen und in der Creme oder im Zabaione unterzutauchen. So begann ich meinen Rundgang, ab und zu von asiatischen Dienern angehalten, die mir Tabletts mit Bonbons und Lakritze anboten, einem offenbar unerlässlichen Mittel zum Lösen der Zungen der Verbündeten, Feinde, Exfeinde, neuen dicken Freunde, Abtrünnigen, Abgespalteten und Wiederversöhnten. Ich versuchte, gewissenhaft meinen flächendeckenden Auftrag auszuführen, und memorierte dabei die Botschaft des alten Senator Portis für den Grafen. Schritt nach Schritt wiederholte ich Integer vitae scelerisque purus, ohne mir den Kopf zu zerbrechen, was das heißen mochte. Aber den Grafen musste ich finden. Oder jemanden, der ihn kannte und ihn mir zeigen konnte.
Ich schonte mich nicht, ich machte mich an jeden Kreis heran, hüstelte, trat von einem Fuß auf den andern und fragte schließlich: »Entschuldigung, aber sind die Voraussetzungen jetzt gegeben oder nicht?« Die Atmosphäre war sehr gespannt, um nicht zu sagen kurz vor dem Kammerflimmern. Alle hatten eben das Handy in die Tasche zurückgesteckt oder zogen es gerade hervor. »Nein«, antworteten sie. »Fabiocchi hat jetzt klipp und klar seine Ablehnung bestätigt, daher sind die Voraussetzungen nicht gegeben.« Und wieder ein Grüppchen und wieder eine diplomatische Erkundigung. »Nichts zu machen. Percivalle hat sich hinter seiner Position verschanzt, er wird nie der Erpressung von Bazzecca nachgeben, die Voraussetzungen existieren nicht.« Und noch ein Salon mit Gobelins voller Pferde und Ritter und vor dieser Schlacht ein Herr mit Ohrring in schwarzem Seidenhemd und gelber Hose, umgeben von ehrfürchtigen Zuhörern. War er das vielleicht, der Graf?
Ich erkannte am Rand der Gruppe Onorevole Rava, der vor Jahren in einer rechten Regierung Vizeminister für Ausstattung und Einrichtung gewesen ist und immer weiß, was augenblicklich in der großen Welt vorgeht.
Nein, klärte Rava mich auf, das war Alfred Klick, ein berühmter deutscher Fotograf, jetzt eingebürgerter Apulier, Spezialist für große Werbefeldzüge provokativen Charakters, jedes Foto ein Skandal. Beim letzten ging es um Kröten, eine Reihe von Herren mit Zylinder saß an einer langen Tafel, und jeder Herr zerlegte, lutschte oder kaute gerade voller Appetit einen rohen Krötenschenkel, -köpf oder -bauch. Es war die Kampagne, die eine neue Marke sehr bitterer Schokolade lancieren sollte. »Warum Kröten fressen, wenn es die Schokolade HERZ DER FINSTERNIS gibt?« So oder so ähnlich hieß, laut Onorevole Rava, der aggressive Slogan dazu.
Der berühmte Fotograf erklärte jetzt, wie er die Fresser gefunden hatte. »Wir haben einen Wettbewerb ausgeschrieben, zweitausend haben sich gemeldet, wir brauchten bloß noch auszusuchen.«
»Aber waren die Kröten
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