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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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Kommandantenhaus nahe dem Berliner Schloß, das für die Passierscheine zuständig war. Über zweitausend Reisepapiere wurden innerhalb weniger Stunden ausgegeben, obwohl Goebbels angeordnet hatte, daß kein Mann, der eine Waffe tragen kann, die Stadt verlassen dürfe. Schon am Vormittag hatte sich der Staatssekretär Otto Meißner, der Chef der Präsidialkanzlei, telefonisch mit der Erklärung gemeldet, er habe sich im Interesse der Handlungsfreiheit seines Amtes nach Mecklenburg begeben, und Goebbels hatte geantwortet, er bedauere, sich nun seinen Wunsch aus zwölf langen Jahren nicht mehr erfüllen zu können und ihm ins Gesicht zu spucken. In seiner am Vorabend über den Rundfunk verbreiteten Geburtstagsrede auf Hitler hatte er versichert:
      »Deutschland ist noch immer das Land der Treue. Sie soll in der Gefahr ihren schönsten Triumph feiern. Niemals wird die Geschichte über diese Zeit berichten können, daß ein Volk seinen Führer oder daß ein Führer sein Volk verließ. Das aber ist der Sieg!« Gott werde »Luzifer, wie so oft schon, wenn er vor den Toren der Macht über alle Völker stand, wieder in den Abgrund zurückschleudern, aus dem er gekommen ist«. Nicht die Unterwelt werde diesen Erdteil beherrschen, war er fortgefahren, »sondern Ordnung, Frieden und Wohlstand«. Niemand anders als der Führer sei »der Kern des Widerstandes gegen den Weltzerfall«. Und mit der aufputschenden Vehemenz, über die er gebot, forderte er zwei Tage später in seinem letzten Leitartikel für die Wochenzeitung »Das Reich« den »Widerstand um jeden Preis«, auch, wie er schrieb, »von Knaben und Mädchen«, die den Ansturm Asiens »mit Handgranaten und Tellerminen bewerfen …, aus Fenstern und Kellerlöchern schießen und dabei die Gefahr, unter der sie kämpfen, für nichts achten«.
      Am folgenden Morgen wurde Hitler bereits gegen halb zehn Uhr, annähernd zwei Stunden früher als üblich, aus dem Schlaf geholt. Russische Artillerie, teilte man ihm mit, schieße in die Innenstadt, und etwas später stellte sich heraus, daß Granaten in dichter Folge am Brandenburger Tor, am Reichstag und bis hin zum Bahnhof Friedrichstraße eingeschlagen waren. Als Hitler kurz darauf unrasiert und sichtlich verstört ins Vorzimmer kam, war seine erste Frage: »Was ist los? Woher kommt diese Schießerei?« Auf die Erklärung Burgdorfs hin, daß das Zentrum offenbar aus einer Stellung nordöstlich von Zossen unter Beschuß genommen werde, wurde Hitler bleich: »Sind die Russen schon so nah?« Dann ließ er sich mit General Koller, dem Stabschef der Luftwaffe, verbinden. In einer Aufzeichnung Kollers heißt es:
      »Am frühen Morgen ruft Hitler an. ›Wissen Sie, daß Berlin unter Artilleriefeuer liegt? Das Stadtzentrum.‹ - ›Nein!‹ - ›Hören Sie das nicht?‹- ›Nein! Ich bin in Wildpark-Werder.‹ Hitler: ›Starke Aufregung in der Stadt über Artillerie-Fernfeuer. Es soll eine Eisenbahnbatterie schweren Kalibers sein. Die Russen sollen eine Eisenbahnbrücke über die Oder haben. Die Luftwaffe hat die Batterie sofort auszumachen und zu bekämpfen.‹ Ich: ›Der Feind hat keine Eisenbahnbrücke über die Oder. Vielleicht hat er eine schwere deutsche Batterie nehmen und herumschwenken können. Wahrscheinlich aber handelt es sich um mittlere Kanonen des russischen Feldheers, mit denen der Feind bereits in die Stadtmitte reichen muß.‹ Längere Debatte, ob Eisenbahnbrücke über die Oder, ob nicht und ob die Artillerie des russischen Feldheers bis zum Zentrum von Berlin schießen kann … Hitler bleibt dabei, daß ich die Batterie sofort festzustellen und zu bekämpfen habe. In zehn Minuten will er sicher wissen, wo die Batterie steht …«
      »Ich rufe«, fährt Kollers Aufzeichnung fort, »den Divisionsgefechtsstand der Flak auf dem Zoobunker an. Meine Anfrage ergibt, daß es sich nur um ein Kaliber von 10 bis 12. Zentimetern handelt. Die feuernde russische Batterie ist am Morgen bei Marzahn, von der Flak beobachtet, in Stellung gegangen, Entfernung bis zum Stadtkern etwa 12 Kilometer … Hitler nimmt meine fernmündliche Meldung dieses Tatbestandes ungläubig auf.«
      Nicht ohne Grund ist Kollers Gesprächsnotiz als charakteristisch für Hitlers Voreingenommenheit im Umgang mit der Generalität sowie mit der Wirklichkeit überhaupt angesehen worden, für die illusionäre Laune, mit der er, ohne Kenntnis der Einzelheiten, von einem »Fernfeuer« spricht und aus dem Stegreif Eisenbahnbatterien oder Brücken

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