Der Untergang
gesehen hatte, den Eindruck nicht verfehlte. Allein in Berlin, hatte Goebbels zudem vorgebracht, lasse sich noch ein »moralischer Welterfolg« erzielen.
Jetzt versicherte Hitler, er sei über Nacht mit sich ins reine gekommen und werde in der Hauptstadt bleiben. Nach einem kurzen, verblüfften Schweigen bestürmten fast alle Lageteilnehmer ihn, Berlin zu verlassen, schon in Stunden könne der letzte Fluchtweg verschlossen sein. Aber Hitler blieb unzugänglich. »Wie soll ich«, beharrte er, »die Truppen zum entscheidenden Kampf um Berlin bewegen, wenn ich mich im gleichen Augenblick in Sicherheit bringe!« Um dem Hin und Her ein Ende zu machen, sagte er schließlich, er wolle die Entscheidung, was ihn selber angehe, dem »Schicksal« überlassen; doch werde er niemanden am Weggehen hindern. Er unterstrich seine Entschlossenheit, indem er über den Kopf der zuständigen Befehlshaber Heinrici und Busse hinweg anordnete, das LVI. Panzerkorps unter General Weidling, das seit der Schlacht um die Seelower Höhen in schwere Abwehrkämpfe verwickelt war, nach Berlin zu verlegen.
Unmittelbar nachdem Hitler die Konferenz aufgehoben hatte, verabschiedete sich Göring. Bleich und schwitzend sprach er von »dringendsten Aufgaben in Süddeutschland«. Aber Hitler starrte wortlos an ihm vorbei, als durchschaue er, wie seit langem schon, die unwürdigen Rechnereien des Mannes, der sein Stellvertreter war. Anschließend begab er sich in Begleitung von Goebbels, Himmler, Speer und Bormann in den Garten hinter der Reichskanzlei.
Nahe dem Ausgang, vor dem kraterübersäten Gelände mit den umgestürzten oder in halber Höhe weggebrochenen Baumstümpfen, hatte eine späte Gratulantenschar Aufstellung genommen: eine Abordnung der abgekämpften SS-Division »Frundsberg« und der Kurland-Armee sowie eine Anzahl von Hitlerjungen aus einer »Panzer-Vernichtungseinheit«. Mit gebeugtem Rücken und wie verkrochen in seinen Mantel schritt Hitler die Reihen ab und gab jedem der angetretenen Soldaten die Hand. Dann ging er zu den Hitlerjungen hinüber, tätschelte den einen oder anderen und dekorierte sie. Unter Aufbietung seiner ganzen Kraft brachte er schließlich ein paar Sätze hervor und daß die Schlacht um Berlin unter allen Umständen gewonnen werden müsse. Am Ende rief er mit müder Stimme: »Heil euch!« Doch niemand antwortete. »Nur in der Ferne«, vermerkt der Bericht des Reichsjugendführers Artur Axmann, »hörte man das Grollen der Front, kaum noch dreißig Kilometer entfernt. «
Im Verlauf seines sechsundfünfzigsten Geburtstags am 20. April 1945
begrüßte Hitler in Berlin eingesetzte Hitlerjungen und dekorierte einige von
ihnen. Nach kurzer Ansprache rief er unter dem Donnergrollen der
Geschütze mit müder Stimme: »Heil euch!« Doch niemand antwortete.
Als Hitler in den Bunker zurückkam, begann der große Exodus. In langer Reihe drängten Minister und Parteiobere herzu, sagten ein paar verlegene oder gepreßte Abschiedsworte und machten sich, gefolgt von endlosen Lastwagenkolonnen, davon. Hitler habe »tief enttäuscht, ja erschüttert lediglich mit dem Kopf genickt«, hat einer seiner Adjutanten berichtet, und »wortlos« die Männer ziehen lassen, »die er einst mächtig gemacht hatte«.
Während die einen das Weite suchten, rückten andere, begleitet von den »heißen Wünschen« der Bevölkerung, wie es hieß, an die Front. Gegen zehn Uhr abends eröffnete Hitler seinen engeren Mitarbeitern, daß er seinen Stab »aufzulockern« gedenke, und schickte zwei seiner Sekretärinnen, mehrere Adjutanten, die Stenografen sowie seinen Leibarzt Dr. Morell nach Süddeutschland. Vielleicht werde er nachkommen, setzte er beim Auseinandergehen hinzu. Und zu Morell sagte er: »Mir können keine Drogen mehr helfen.« Dann zog er sich, früher als üblich, in seine Räume zurück. Einige der Verbliebenen gingen daraufhin zusammen mit Eva Braun und Bormann in die halbwegs leergeräumte Führerwohnung in der Neuen Reichskanzlei zu einer kleinen Nachfeier hinüber. Sie ließen Getränke kommen, versuchten die Gespensterwelt des Bunkers zu vergessen und tanzten ein ums andere Mal nach der Melodie der einzig aufgefundenen Schallplatte, die von »Blutroten Rosen« erzählte und vom kommenden Glück. Dann trieben nahe Artillerieeinschläge sie in den Bunker zurück.
Kaum hatte sich herumgesprochen, daß der Weggang für die Regimespitzen freigegeben sei, belagerten Antragsteller von überall her das
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