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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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Erinnerung an die lange entbehrten Empfindungen von Glanz und Gala zurückgebracht, auch wenn die unaufhörlich heulenden Sirenen die ohnehin trübe Stimmung weiter herabdrückten. Nach ein paar kurzen Worten war Hitler von Gruppe zu Gruppe gegangen, hatte ernst und mitunter fast abwehrend die Glückwünsche entgegengenommen, hatte beschworen und ermutigt. Obwohl er anfangs einen zutiefst erschöpften Eindruck gemacht und, wie einer der Anwesenden meinte, mühsamer als an anderen Tagen versucht hatte, das Zittern seines linken Arms zu verbergen, schien ihn die Zuversicht, die er jedem der Umstehenden aufdrängte, selber zu beleben, so daß er zeitweise »wie galvanisiert« wirkte. Draußen, auf der Wilhelmstraße, fand unterdessen ein parademäßiger Vorbeimarsch der »Leibstandarte« an dem SS-Gruppenführer Wilhelm Mohnke statt.
      Im Lauf des Vormittags war das Codewort »Clausewitz« ausgegeben worden, das den Alarmfall verfügte und auf die Verkündung des Ausnahmezustands hinauslief. Gleichzeitig wurde bekannt, daß Hitler sich bereit gefunden hatte, den schon vor Tagen vorsorglich gefaßten Beschluß in Kraft zu setzen, wonach die in deutscher Hand verbliebenen Gebiete für den Fall einer Spaltung durch die vorrückenden Feindmächte in einen »Nordraum« unter Großadmiral Karl Dönitz und einen »Südraum« unter Generalfeldmarschall Albert Kesselring aufzuteilen seien. Der verzweifelte Schritt gab dem Aufgebot der Gratulanten noch einmal die Gelegenheit, das »militärische Genie« des Führers zu rühmen, der es wieder und wieder fertigbringe, aus defensiven Lagen in die weit vorteilhaftere Position des Angreifers überzuwechseln. Erläuternd beschrieb Goebbels die beiden »Führungsräume« als die Flügel einer »strategischen Zange«, die den noch ahnungslosen Alliierten ein »zweites Cannae« bereiten werde.
      Insgeheim hingegen, hinter all dem verdrehten Gerede über militärtechnische »Geniestücke« oder den gegen jeden Augenschein unmittelbar bevorstehenden Sieg, wartete die Mehrzahl der Versammelten in zunehmender Nervosität auf das Ende der Veranstaltung. Jeder hatte verfolgt, daß die Rote Armee dabei war, den Ring um die Stadt zu schließen. Nach Norden wie nach Süden war lediglich ein ständig schmaler werdender Fluchtkorridor verblieben, und einmal ließ Göring durch eine Ordonnanz Erkundigungen darüber einholen, wie lange nach kritischem Ermessen noch ein Durchkommen sei.
      Als ahne er die verächtliche Ungeduld der meisten Anwesenden und wolle sie hinhalten, schien Hitler den Empfang zumindest minutenweise in die Länge zu ziehen. Während der anschließenden Lagebesprechung im Konferenzkorridor befahl er, die im Norden und Osten bis an den äußeren Verteidigungsring vorgestoßenen Sowjetverbände in einem rücksichtslosen, mit aller Kraft geführten Gewaltschlag zurückzuwerfen. Wiederum setzte er dabei Truppen ein, die einzig durch die Irrwelt seiner Vorstellung marschierten, und verlor sich, wie immer, wenn er ins Reden kam, in taktischen Einzelheiten, sei es über die Einsatzstelle eines Sturmgeschützes oder den günstigsten Standort einer Maschinengewehr-Stellung. Stumm und mit unbewegten Mienen folgten die Offiziere seinen Ausführungen. Lediglich Göring, der breit und massig Hitler gegenüber Platz genommen hatte, konnte seine Unruhe kaum verbergen und schien die sinnlos verrinnenden Minuten zu zählen.
      Am Abend zuvor hatte Hitler die Frage aufgeworfen, ob es nicht zweckmäßiger sei, die von Truppen nahezu entblößte, weitgehend verteidigungsunfähige Hauptstadt aufzugeben. Zugleich hatte er die Absicht durchblicken lassen, die Führung im »Südraum« zu übernehmen und vom Obersalzberg aus, im Angesicht des sagenumwobenen Untersbergs, den Kampf fortzuführen. In Anspielung womöglich auf sein eigenes Nachleben hatte er dabei noch einmal die Überlieferung erwähnt, wonach im Innern des Berges Kaiser Barbarossa den Jahrhundertschlaf schlief. Doch Goebbels hatte ihn leidenschaftlich bedrängt, in Berlin zu bleiben und, wenn ihm der Tod denn bestimmt sein sollte, in den Trümmern der Stadt das Ende zu suchen: Nichts anderes sei er der Treue zu seiner weltgeschichtlichen Aufgabe, den Schwüren von einst und seinem historischen Rang schuldig. Der Führer, hatte er wie schon verschiedentlich erklärt, dürfe sein Leben nicht in seinem »Sommerhaus« beschließen, und vieles spricht dafür, daß gerade dieses Argument auf Hitler, der sich stets in großen Kulissen

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