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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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über die Oder erfindet. Mehr noch als seinen unzureichenden oder nach Gutdünken verbogenen Informationsstand offenbaren seine Äußerungen jedoch das Führungsdurcheinander im Hauptquartier. Kollers Niederschrift vom 21. April fährt fort:
    »Bald darauf wieder Hitler persönlich am Apparat. Er will
    genaue Zahlen über den laufenden Flugzeugeinsatz südlich Berlin. Ich erwidere, derartige Anfragen könnten, weil die Nachrichtenverbindungen zur Truppe nicht mehr so einwandfrei funktionierten, nicht auf Anhieb erledigt werden. Man müsse sich mit den laufenden Morgen- und Abendmeldungen, die automatisch eingingen, begnügen; darauf ist er sehr erbost.«
    Wenig später sei Hitler neuerlich am Telefon gewesen, heißt
    es dann mehrfach. Einmal habe er etwas über die bei Prag stationierten Strahlflugzeuge wissen wollen, dann über die »Privatarmee«, die Göring angeblich unterhält, oder er verweist auf ein Schreiben des Industriellen Hermann Röchling und schreit, wie Koller festhält, unvermittelt los: »Man müßte die ganze Luftwaffenführung sofort aufhängen!« Und so unausgesetzt weiter: Anfragen, Befehle, Widerrufe und zwischendurch kurze Lagevorträge: »Da kann der Satan draus schlau werden«, machte sich der verwirrte General in einem Seufzer Luft.
      Um einigen Überblick zurückzugewinnen, versuchte Koller, mit Krebs Verbindung aufzunehmen. Als er den General nach langen, vergeblichen Bemühungen nachts um halb elf Uhr erreicht und vor allem um Aufklärung über einen von Hitler erwähnten, ihm aber bis dahin nicht bekannten Entlastungsangriff des SS-Generals Steiner bittet, schaltet sich überraschend Hitler ein. »Plötzlich«, vermerkt Koller, »tönt am Apparat seine erregte Stimme: ›Haben Sie noch Zweifel an meinem Befehl? Ich glaube, ich habe mich klar genug ausgedrückt. Alle Kräfte der Luftwaffe im Nordraum, die für den Einsatz auf der Erde verfügbar gemacht werden können, müssen sofort Steiner zugeführt werden. Jeder, der Kräfte zurückhält, hat binnen fünf Stunden sein Leben verwirkt. Sie selbst haften mir mit Ihrem Kopf.‹«
      Etwas später empört sich Hitler, daß zum Lagevortrag eines Offiziers keiner der erst Stunden zuvor von ihm selber freigestellten Stenografen erschienen ist, und wie stets in den Entzauberungsschlägen seines Lebens entschlüsselt sich für ihn, was immer geschieht, in dem einen Wort: »Verrat!« Als zu noch weiter vorgerückter Nachtzeit Walter Hewel, der »Ständige Beauftragte des Außenministers beim Führer«, den Hitler auch persönlich überaus schätzte, nach letzten Anweisungen fragt und daran erinnert, daß dies der sichtlich äußerste Augenblick für eine politische Initiative sei, erhebt sich Hitler und sagt »mit leiser, völlig veränderter Stimme, während er langsam, müde und schleppend den Raum verließ: ›Politik? Ich mache keine Politik mehr. Das widert mich so an. Wenn ich tot bin, werdet ihr noch genug Politik machen müssen.‹«
      Die Nerven hielten nun nicht länger stand, und zusehends häufiger brach der Damm aus Unnachgiebigkeit und falscher Siegeszuversicht. Im Verlauf der letzten Pressekonferenz, die Goebbels in seiner Residenz hinter mit Pappe vernagelten Fenstern und bei Kerzenlicht abhielt, häufte er alle Schuld für das Scheitern der großen Vorhaben auf das Offizierskorps und die »Reaktion«, mit der sie sich notgedrungen hätten verbünden müssen. Ein ums andere Mal, erklärte er in langwierigen Ausführungen, von der schon im Frieden vernachlässigten Rüstung und den Fehlentscheidungen während der Feldzüge gegen Frankreich und gegen die Sowjetunion, über das Versagen während der alliierten Invasion bis hin zum 20. Juli, habe die alte Kaste immer nur »Verrat« geübt.

    Marschall Iwan Stepanowitsch Konjew, Schukows Rivale bei der Eroberung
Berlins.
      Als einer seiner Beamten, der Ministerialdirigent Hans Fritzsche, einwarf, man dürfe aber die Treue, den Glauben und die Opferbereitschaft des Volkes nicht außer acht lassen, brach es aus dem sonst immer berechnend formulierenden Minister heraus, daß auch das Volk versagt habe. »Was fange ich mit einem Volk an«, empörte er sich, »dessen Männer nicht einmal mehr kämpfen, wenn ihre Frauen vergewaltigt werden!?« Im Osten, rief er mit »zornrotem Gesicht«, laufe es davon, und im Westen empfange es den Feind mit weißen Fahnen. Er könne kein Mitgefühl empfinden, zumal das Volk dieses Schicksal selbst gewählt habe. Bei der Abstimmung über

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