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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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riesige Karawanserei mit über einer halben Million Flüchtlingen verwandelt hatte, die von der Roten Armee bis an die Elbe getrieben, dann jedoch von den amerikanischen Truppen am anderen Flußufer aufgehalten worden waren. Sie bildeten, Tag für Tag durch endlos neu hinzuströmende Trecks vermehrt, eine Art Vorhut der Millionen, die in den folgenden Monaten vertrieben, in Lager verbracht oder zur Zwangsarbeit nach Osten verschleppt wurden.
      Aber Heinrici dachte nicht daran, Krebs auf die ungezählten Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, die jede operative Planung lahmten oder sogar verhinderten. Seine unter zunehmender Mißachtung der Bunkerbefehle verfolgte Absicht ging seit einigen Tagen dahin, die Heeresgruppe im Norden wie im Süden an Berlin vorbeizuführen und der Stadt ein längst sinnlos gewordenes Schlachtendrama zu ersparen. Statt dessen sollten die Verbände so weit wie möglich zu den Linien von Engländern und Amerikanern durchstoßen. Infolgedessen nutzte er die Nachricht, um General Busse anzuweisen, mit allen einsatzfähigen Kräften nach Westen durchzubrechen und Wenck entgegenzumarschieren. Als der führerfolgsame Busse Einwendungen erhob, erklärte Heinrici knapp, dies sei ein Befehl, und brach das Gespräch ab.

    Nur der Wille hielt noch stand und die selbstbetrügerische
    Hoffnung auf das stündlich erwartete Zusammenbrechen der, wie Goebbels unablässig wiederholte, »perversen Koalition zwischen Plutokratie und Bolschewismus«. Aller militärische Widerstand ziele auf einen Zeitgewinn von wenigen Tagen, wurde er nicht müde zu behaupten und sprach mit dem dreisten Schneid, auf den er sich soviel zugute hielt, von der unmittelbar bevorstehenden Gelegenheit, mit der russischen Seite gegen die Westalliierten »Kippe« zu machen. Doch in der Lagebesprechung vom 22.. April zerstoben auf einen Schlag die unausgesetzt verfertigten und zusehends mühsamer aufrechterhaltenen Trugbilder.
      Die dramatische Konferenz begann am Nachmittag kurz nach drei Uhr und zog sich bei ständigem Kommen und Gehen bis gegen acht Uhr abends hin. Noch die eröffnende Mitteilung, daß den Sowjets der Durchbruch auch im Norden der Oderfront gelungen sei, nahm Hitler mit scheinbar stoischem Gleichmut hin. Anschließend trugen die Berichterstatter vor, daß der Gegner im Süden Zossen genommen habe und auf Stahnsdorf vorstoße, am nördlichen Stadtrand zwischen Frohnau und Pankow operiere und im Osten bis zur Linie Lichtenberg, Mahlsdorf, Karlshorst gelangt sei. In die entstandene Stille hinein fragte Hitler sodann nach der Gruppe Steiner. Als ihm nur hinhaltende oder widersprüchliche Auskünfte zuteil wurden und Krebs zuletzt eingestehen mußte, daß der zur Schicksalswende erhobene Steiner-Angriff überhaupt nicht stattgefunden hatte, brach nach kurzem, benommenem Brüten der Sturm los.
      In einem Ausbruch, wie ihn keiner der Anwesenden je erlebt hatte, fuhr Hitler plötzlich aus seinem Sessel hoch, warf die farbigen Stifte, die er während der Lagebesprechungen stets bei sich trug, mit einer zornigen Bewegung über den Tisch und begann zu schreien. Seine seit Wochen matte und tonlose Stimme gewann noch einmal etwas von ihrer einstigen Kraft. Nach Worten ringend, erhob er eine Art Generalanklage gegen die Welt, die Feigheit, Niedertracht und Treulosigkeit auf allen Seiten. Er schmähte die Generalität, die unausgesetzten Widerstände, mit denen er sich habe herumschlagen müssen, seit Jahren sei er von Verrätern und Versagern umgeben. Während alle betroffen vor sich hin starrten, machte er sich mit fahrigen Bewegungen Platz und begann mit taumeligem Schritt den engen Raum auf- und abzulaufen. Zwar versuchte er mehrfach, seine Fassung zurückzugewinnen, doch gleich darauf brach es wieder aus ihm heraus, außer sich schlug er mit der Faust in die offene Hand, während ihm Tränen über die Wangen liefen: Unter diesen Umständen, wiederholte er viele Male, könne er nicht länger führen, seine Befehle seien in den Wind gesprochen, er wisse nicht mehr weiter. »Der Krieg ist verloren!« rief er. »Aber wenn Sie, meine Herren, glauben, daß ich Berlin verlasse, irren Sie sich gewaltig! Eher jage ich mir eine Kugel durch den Kopf!« Als Jodl ans Telefon gerufen wurde, schickte Hitler die Konferenzteilnehmer aus dem Raum und bat nur Keitel, Krebs und Burgdorf zu bleiben.
      Von dem Lärm aufgeschreckt, waren draußen, in den Räumen bis hin zum Fuß der Treppe, die Bunkerinsassen zusammengelaufen. Während sie

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