Der Untergang
noch herumstanden, ihre Beobachtungen austauschten und dann und wann, wenn der Raum unter einem nahen Granateneinschlag erzitterte, besorgt verstummten, kam plötzlich Hitler aus dem Konferenzzimmer und bahnte sich ohne einen Blick nach rechts oder links, gebückt und bleich, wie es in dem Bericht eines Augenzeugen heißt, den Weg in seine privaten Räume. Im entstandenen Durcheinander lief Bormann von einem zum anderen und wiederholte fassungslos: »Das kann der Führer nicht im Ernst gesagt haben, daß er sich erschießen will!«, während Keitel jeden Anwesenden aufforderte: »Wir müssen den Führer davon abhalten!«
Als sich der Sturm gelegt hatte, bat Hitler einige der Beteiligten zu Einzelgesprächen, Keitel, Dönitz, Krebs und Burgdorf sowie Hermann Fegelein. Gegen fünf Uhr ließ er Goebbels rufen, dem Bormann gerade noch die Bitte mitgeben konnte, den Führer unter allen Umständen zum Rückzug in die Alpenfestung zu bewegen. Doch Goebbels tat, als überhöre er das Ansinnen der »GPU-Type«. Einiges spricht sogar dafür, daß sein Angebot, gemeinsam mit dem Führer in den Tod zu gehen, jetzt erst den noch immer wankelmütigen Hitler endgültig dazu brachte, in Berlin zu bleiben. Jedenfalls begab sich Goebbels unmittelbar nach der Unterredung in das gegenüberliegende Büro und teilte der Sekretärin Frau Junge mit, daß seine Frau und seine sechs Kinder noch am gleichen Tag in den Bunker umziehen würden. Kälter und nüchterner als in seinen Siegesparolen, ließ er zugleich ausrichten, daß jedes Kind nur ein Spielzeug mitnehmen dürfe und ohne viel Nachtkleidung herüberkommen solle, da dergleichen jetzt »nicht mehr nötig« sei. Einige Zeit darauf kehrte Hitler mit augenscheinlich wiedergewonnener Fassung in das Konferenzzimmer zurück. Das Ende sei jetzt da, erklärte er, er habe keine Hoffnung mehr. Und als nahezu alle Anwesenden widersprachen und auf die noch immer verfügbaren Einheiten hinwiesen, auf die bereits anrückende Armee Wenck, auf Busse und nicht zuletzt auf die im Raum Dresden operierende Heeresgruppe unter dem treuen Feldmarschall Ferdinand Schörner, entgegnete Hitler mit einem Achselzucken: »Tun Sie, was Sie wollen! Ich habe keine Befehle mehr.«
»Die Armee Wenck kommt!« war die von den Propagandafachleuten des Regimes ausgestreute Hoffnungsparole der letzten Kriegstage. Doch mißlang Generalleutnant Walter Wenck schon die Aufstellung einer schlagkräftigen Streitmacht, und die Verbände, mit denen er zum Entsatz der Hauptstadt
vorstieß, blieben Ende April bei Ferch im Südwesten Berlins stecken.
Es entstand eine längere Pause. Dann setzte Hitler hinzu, er werde den Tod in der Reichshauptstadt erwarten, er lasse sich nicht weiterschleppen und hätte bereits das Hauptquartier im ostpreußischen Rastenburg nie verlassen dürfen. Alle Einwendungen wies er zurück, auch ein telefonischer Überredungsversuch Himmlers blieb ohne Erfolg, und Ribbentrops Bitte um Anhörung schlug er ohne viel Aufhebens rundheraus ab. Er werde, entgegen seiner früheren Absicht, den Russen nicht mit der Waffe in der Hand entgegentreten, sagte er, schon um der Gefahr zu entgehen, verwundet in Feindeshand zu fallen. Auch sei er körperlich nicht in der Lage zu kämpfen. Aber erfaßt vom Pathos der Stunde, entfuhr ihm die Formulierung, er werde auf den Stufen der Reichskanzlei fallen, und betört von dem ebenso dramatischen wie sakrilegischen Bild wiederholte er die Worte mehrere Male. Um sich selber jeden Rückweg abzuschneiden, diktierte er sogleich eine Verlautbarung, wonach er in Berlin bleiben und persönlich die Verteidigung der Stadt übernehmen werde.
SS-General Wilhelm Mohnke, am 22. April von Hitler zum
Kampfkommandanten des Verteidigungsbereichs »Zitadelle« (Reichskanzlei
und Regierungsviertel) ernannt.
Dann zog er sich mit Keitel, Jodl, Goebbels und wenigen anderen erneut in seine Räume zurück. Er ließ seinen Adjutanten Julius Schaub kommen und trug ihm auf, die im Tresor am Fußende seines Bettes oder wo immer sonst verwahrten persönlichen Papiere in den Garten zu schaffen und dort zu verbrennen. Angesichts der beunruhigenden Meldungen über die von allen Seiten zum Angriff auf das Zentrum vorrückenden Sowjettruppen ernannte er den vielfach ausgezeichneten SS-Brigadeführer Wilhelm Mohnke, der seit
1933 zur »Leibstandarte« gehörte, zum Kampfkommandanten des innersten Verteidigungsbezirks »Zitadelle«. Er unterstellte Mohnke seinem persönlichen Befehl und
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