Der Untergang
übergab ihm das Kommando über die annähernd viertausend in der Stadt befindlichen SS-Leute sowie einige kleinere Einheiten der drei Wehrmachtsteile und der Hitlerjugend. Anschließend forderte er Keitel und Jodl auf, mit ihren Stäben nach Berchtesgaden zu gehen und gemeinsam mit Göring die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Als einer der Anwesenden einwarf, daß kein Soldat unter dem Reichsmarschall kämpfen werde, entgegnete Hitler: »Was heißt kämpfen! Da ist nicht mehr viel zu kämpfen, und wenn’s aufs Verhandeln ankommt - das kann der Reichsmarschall besser als ich.«
Am Ende, als alle erschöpft und ratlos herumsaßen, unternahm Keitel noch einmal einen Versuch, Hitler umzustimmen. Er könne zum ersten Mal, sagte er, einen Befehl des Führers nicht befolgen und weigere sich, nach Berchtesgaden zu gehen. Aber Hitler erwiderte nur, er werde Berlin »nie verlassen - nie!« Auf Keitels neuerlichen Widerspruch kam es zu einem kurzen, scharfen Wortwechsel, den Hitler mit dem Bemerken beendete, er lehne es ab, den Feldmarschall weiter anzuhören. Doch als Keitel fortfuhr, der Führer dürfe die Wehrmacht nicht im Stich lassen, wies Hitler ihm beleidigt die Tür. Im Abgehen wandte sich Keitel an Jodl
und sagte mit halber Stimme: »Das ist der Zusammenbruch!«
Noch in der Nacht begab sich Keitel in den Gefechtsstand der
12. Armee, der in der Oberförsterei »Alte Hölle« bei Wiesenburg, einige sechzig Kilometer östlich von Magdeburg, Quartier bezogen hatte. Schon als der Chef des OKW den Raum betrat, fand Wenck alle Vorbehalte des Truppenführers gegen den Stabsoffizier bestätigt. Denn Keitel war in gleichsam großer Aufmachung mit Gefolge erschienen und kam, kaum daß er den Marschallstab salutierend an den
Das vermutlich letzte Foto Hitlers. Zusammen mit seinem langjährigen SS
Adjutanten Julius Schaub steht er Ende April an einem Ausgang der
zerstörten Reichskanzlei.
Mützenrand gehoben hatte, sogleich zur Sache: »Befreien Sie
Berlin!« sagte er. »Machen Sie mit allen verfügbaren Kräften kehrt! Vereinigen Sie sich mit der 9. Armee. Hauen Sie den Führer raus! Sie, Wenck, haben es in der Hand, Deutschland zu retten!«
Wenck wußte, daß jeder Widerspruch so sinnlos wie zeitvergeudend war, und äußerte zu allen Anweisungen nur, er werde natürlich tun, was der Generalfeldmarschall befehle. Doch als Keitel gegen drei Uhr morgens abgefahren war, rief er seinen Stab zusammen und erklärte, man werde entgegen den Befehlen nicht mit allen Kräften auf Berlin vorstoßen, sondern den Versuch unternehmen, so nah wie möglich an die 9. Armee heranzukommen. Die Aufgabe laute, einen langgestreckten Fluchtweg nach Westen herzustellen und offenzuhalten. Zu Hitler fügte er lediglich den Satz hinzu, »daß das Schicksal eines einzelnen jetzt nicht mehr von Bedeutung« sei.
Die niederschmetternde Nachricht über die Konferenz vom
22. April verbreitete sich in Windeseile. Hewel unterrichtete Ribbentrop, Jodl General Koller, Generalmajor Christian den Reichsmarschall in Berchtesgaden, und Fegelein ließ sich mit Heinrich Himmler in dessen neuem, unweit von Berlin gelegenem Hauptquartier in Hohenlychen verbinden. Der Reichsführer-SS, der seit langem dabei war, die Ausgangsposition für den erwarteten Machtkampf um die Nachfolge Hitlers zu beziehen, sah die Stunde der Entscheidung herangekommen: Fegeleins Bericht lief auf nichts anderes als die Abdankung des »Führers« hinaus. In seiner dienstbaren Enge zögerte er jedoch trotz allen Drängens der Berater auch jetzt noch, diesen Anspruch öffentlich zu machen, zumal sein Ansehen bei Hitler tief abgestürzt war. Immerhin sah er sich ermutigt, nach verschiedenen Seiten Fühlung zu einem Treffen mit General Eisenhower aufzunehmen. Seine Absicht sei es, ließ er verlauten, den amerikanischen Oberkommandierenden davon zu überzeugen, daß er sich mit seiner SS nützlich machen könne; er wolle nicht nur eine Waffenruhe im Westen erreichen, sondern vor allem amerikanisches Kriegsmaterial für den augenblicklich aufzunehmenden Kampf gegen die Rote Armee erhalten: »Dann schaffe ich es noch«, erklärte er seiner Umgebung und stellte bereits Überlegungen an, ob eine Verbeugung oder ein Händedruck angemessen sei, wenn er mit Eisenhower zusammentreffe. Im Bewußtsein des großen staatsmännischen Spiels, das er begann, setzte er mit kaum verhohlener Geringschätzung hinzu: »In Berlin sind alle verrückt geworden!« Was er nicht zu erkennen
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