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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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schwerbewaffnete SSBegleitmannschaft mit den Häftlingen los, führte sie angeblich zur Abkürzung des Weges über ein nahe gelegenes Trümmergelände und brachte sie auf ein verabredetes Kommando hin durch Genickschuß um. Unter den Ermordeten befanden sich Klaus Bonhoeffer, Rüdiger Schleicher, Friedrich Justus Perels und Albrecht Haushofer.
      Zur gleichen Zeit meldeten die Stimmungsberichte der Wehrmacht von überall her wachsende Depressionen und sprachen von einer ansteckenden Neigung zu Gesprächen, wie dem Leben am sichersten ein Ende zu machen sei. Die Flakhelferin Inge Dombrowski, so wurde berichtet, bat ihren Kompanieführer, sie zu erschießen. Der junge Oberleutnant entsprach nach hinhaltendem, gequältem Zögern ihrem Verlangen und brachte sich unmittelbar darauf selber um. Die Gerüchte über die große, vom »Führer« seit geraumer Zeit vorbereitete Offensive verstummten jetzt. An ihre Stelle trat das immer neu belebte Geraune über die, wie es hieß, dicht vor Potsdam angelangte, schon zum vernichtenden Schlag ausholende Armee Wenck. Zugleich war die Rede davon, daß die Amerikaner hinter der Elbe Luftlandetruppen zusammenzögen, um der Wehrmacht gegen die Rote Armee zu Hilfe zu kommen. Aber diese und andere allzu durchsichtigen Propagandaparolen fanden kaum noch Glauben. Der beißende Fatalismus, mit dem der Berliner Volkswitz sich seit Generationen durch die wiederkehrenden Lebensnöte manövriert hatte, reagierte auf das sichtlich näher rückende Ende mit dem Schlager »Davon geht die Welt nicht unter …« Die Nachbarn pfiffen sich die Melodie auf der Straße zu. Sie wurde ebenso zu einer Art Kennung wie beim Auseinandergehen die Formel »Bleiben Sie übrig!«

    Die Auflösungserscheinungen griffen unterdessen auch auf
    die engste Umgebung Hitlers über. Als Albert Speer am frühen Abend des 23. April in den Bunker zurückkehrte, um sich, von »widerstreitenden Gefühlen« erfüllt, von Hitler zu verabschieden, nahm er auf Schritt und Tritt die kleinen, aber verräterischen Lockerungen wahr, die sich im Disziplinarischen eingestellt hatten: das Rauchen in den Vorräumen sowie die halbgeleerten Flaschen hier und da. Auch erhob sich, wenn Hitler einen Raum betrat, nur selten noch einer der Anwesenden, und kaum irgendwer ließ sich, während er da vorüberging, im Gespräch unterbrechen.
      Hitler selbst wirkte auf melancholische Weise gefaßt und sprach vom Tod wie von einer Erlösung. Selbst als Speer mit dem Geständnis herausrückte, daß er seit Monaten gegen die ergangenen Zerstörungsbefehle gehandelt habe, fuhr Hitler wider Erwarten nicht auf. Vielmehr schien er, wie mehrfach im Verlauf ihrer Zusammenkunft, entlegenen Gedanken nachzuhängen, während seine Augen sich mit Tränen füllten. Als habe er damit schon zuviel von seinen Empfindungen erkennen lassen, verabschiedete er seinen späten Gast einige Stunden darauf mit geradezu herabsetzender Gleichgültigkeit und, wie Speer empfand, als gehöre er nun nicht mehr dazu. Auf dem Rückweg durch die ramponierten Hallen der Reichskanzlei, die er sechs Jahre zuvor als »erstes architektonisches Zeugnis des Großdeutschen Reiches« errichtet hatte, ging ihm unwillkürlich auf, zu einem wieviel angemesseneren Abschluß sein Leben gelangt wäre, wenn Hitler, wie Speer zunächst erwartet hatte, ein Erschießungskommando für ihn herbeibefohlen hätte.

    Die nicht endenden Mühen des bloßen Überlebens: Die berühmte Aufnahme,
entstanden nach einem alliierten Bombenangriff Ende 1943, hält die
Dauertragödie vieler Einwohner Berlins wie in einer photographischen
Metapher fest.

    Weniges konnte deutlicher machen, daß er doch noch dazugehörte. Denn es offenbarte die gleiche Denkart, die, von Hitler angefangen, alle die Goebbels, Krebs, Burgdorf und Mohnke mitsamt den Hundertschaften der »Leibstandarte Adolf Hitler« und den ungezählten weiteren kampfbesessenen Soldaten im eingeschlossenen Berlin dazu brachte, das Leben für nichts zu achten. Der britische Historiker A.J.P. Taylor hat es »ein großes Geheimnis« genannt, daß so viele Deutsche kopflos und gleichsam über die zwölfte Stunde hinaus auf den Trümmern des dahingegangenen Reiches weiterkämpften. Da die Deutschen selber sich nicht erinnerten, fügte er mit einigermaßen ratlosem Sarkasmus hinzu, werde die Antwort darauf nie zu haben sein.
      Es war aber nicht so, daß die Truppen des inneren Verteidigungsbereichs nur verzweifelt und gehorsam in den Tod liefen. Vielmehr

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