Der Untergang
das Verlangen im Spiel, das Schicksal endlich ernsthaft auf die Probe zu stellen. Jetzt war er gleichsam am Ziel. In den letzten Lagebesprechungen Ende April mit den unausgesetzt wiederholten, lediglich unterschiedlich begründeten Äußerungen, warum er, entgegen allen früheren Absichten, Berlin nicht verlassen und in der Reichskanzlei den Tod finden wolle, tritt dieses Motivgeflecht unübersehbar hervor.
Es waren, trotz oder dank der, wie es einmal heißt, »Tatarenmeldungen«, die unablässig über ihn hereinbrachen, komplexe Erfüllungsgefühle, die er empfand: noch einmal das Glück, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Im Verlauf einer der Konferenzen sprach Hitler mit kaum verhohlenem Überschwang von einem »ehrenvollen Ende«, das jeder Aussicht vorzuziehen sei, »in Schande und Unehre ein paar Monate oder Jahre weiterzuleben«, feierte ein andermal das eingeschlossene Regierungsviertel als die »letzte kleine Insel«, die sich »heroisch« zur Wehr setze, oder versicherte der Runde um den Kartentisch, es sei »kein schlechter Abschluß eines Lebens, wenn man im Kampf für die Hauptstadt seines Reiches fällt«. Die ganze Skala der Affekte mit dem Nebeneinander von Wahnwitz, Aufbegehren und Ergebung kommt in einer Zusammenfassung verschiedener Einwürfe im Verlauf der Lagebesprechung vom 25. April zum Vorschein:
»Es gibt für mich keinen Zweifel: Die Schlacht hat hier (in Berlin) einen Höhepunkt erreicht. Wenn es wirklich stimmt, daß in San Francisco unter den Alliierten Differenzen entstehen - und sie werden entstehen -, dann kann eine Wende nur eintreten, wenn ich dem bolschewistischen Koloß an einer Stelle einen Schlag versetze. Dann kommen die anderen vielleicht doch zu der Überzeugung, daß es nur einer sein kann, der dem bolschewistischen Koloß Einhalt zu gebieten in der Lage ist, und das bin ich und die Partei und der heutige deutsche Staat.«
»Wenn das Schicksal anders entscheidet«, heißt es etwas später, »dann würde ich als ruhmloser Flüchtling vom Parkett der Weltgeschichte verschwinden. Ich würde es aber für tausendmal feiger halten, am Obersalzberg einen Selbstmord zu begehen, als hier zu stehen und zu fallen. - Man soll nicht sagen: Sie als der Führer …«
»Der Führer bin ich, solange ich wirklich führen kann. Führen kann ich nicht dadurch, daß ich mich irgendwo auf einen Berg setze … Es ist für mich persönlich einfach unerträglich, andere Leute erschießen zu lassen für Dinge, die ich selbst mache. Nur um einen Berghof allein zu verteidigen, dazu bin ich nicht auf die Welt gekommen.«
Wozu er auf die Welt gekommen und sogar zu einer historischen Mission berufen worden war, hat Hitler in einem Generalrückblick dargelegt, der das eigentlich politische Abschlußdokument seines Lebens ist. Den Berichten der engeren Umgebung zufolge hat er seit der Rückkehr nach Berlin viele Bunkerabende im Februar und später noch einmal im April mit Goebbels und Ley verbracht, mitunter war auch der Wirtschaftsminister Walther Funk hinzugezogen worden. In ausgedehnten Monologen hat er bei diesen Zusammenkünften eine Art Summe seines Daseins gezogen und dabei nicht nur die Voraussetzungen und Chancen seiner Politik überprüft, sondern auch die Irrtümer und Fehler benannt, die ihm unterlaufen waren. Anschließend hat der eine oder andere aus der Runde der wie stets weitschweifigen und ungeordneten Wortflut Zusammenhang und Form gegeben.
An den Anfang seiner Überlegungen stellte Hitler das nie verwundene Scheitern seines »Königsgedankens« von einem deutschenglischen Bündnis. Jahr um Jahr habe er das Empire umworben, führte er aus, und damit das gemeinsame Interesse im Sinn gehabt, Rußland sowie die Vereinigten Staaten aus den Angelegenheiten der Alten Welt herauszuhalten; insofern sei kein anderer als er »Europas letzte Chance« gewesen. Statt dies zu erkennen, habe alle Welt sich über die Härten aufgehalten, die aus dieser Politik gefolgt seien. »Aber Europa«, setzte er hinzu, »konnte nicht mit Charme und Überzeugungskunst erobert werden. Man mußte es vergewaltigen, um es zu haben.« Dazu gehörte auch, die falschen, vom geschichtlichen Prozeß überholten romanischen Weltmächte Frankreich und Italien zum Verzicht auf ihre unzeitgemäße Politik der Größe zu zwingen.
Alles hing von England ab, und England, erklärte er, habe sich ihm, geführt von kurzsichtigen und bornierten Politikern, immer wieder versagt. Wenn das Schicksal
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