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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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kann man ziemlich sicher sein, daß nicht wenige von ihnen sich im Schlachtgewühl der letzten Tage auf seltsam verworrene Weise entschädigt fühlten. Was dem Widerstand in ihren Augen über jede Vernunft hinaus zur Rechtfertigung verhalf, war nicht nur die tiefverankerte Vorstellung, daß alles wirklich Große in der Welt erst durch Tod und Untergang beglaubigt werde. Vielmehr fühlten sie sich auch zu handelnden Figuren im Schlußakt einer welthistorischen Tragödie berufen oder gar erhoben, und Tragödien solchen Ausmaßes, hatten sie gelernt, verliehen selbst dem sinnlos Scheinenden einen höheren Sinn. Das Vernarrtsein in ausweglose Lagen gehörte lange schon zu den charakteristischen Zügen zumindest einer Spur des deutschen Denkens. Eine lange philosophische Tradition, die in zerwühlten Theorien den »weltgeschichtlichen Beruf der Deutschen zum Radikalismus« verkündet sowie einen »heroischen Pessimismus« als Erbteil zumal der germanischen Völker ausgemacht hatte, sah sich hier, von einer unübersehbaren Traktatliteratur zu kleiner Münze verarbeitet, vor hohe Bewährungen gestellt, und noch aus Heideggers »Mut zur Angst vor dem Nichts« ließen sich Gründe für den äußersten Widerstand herleiten.
      Aus alledem zogen viele, die an den erbitterten, ungemein verlustreichen Kämpfen in den Ruinen und Kellern der verendenden Stadt beteiligt waren, Befriedigungen, denen nichts gleichkam. »Ein niemals zuvor erlebter nüchterner Elan«, erinnerte sich ein deutscher Offizier, »eine unbeschreibbare Härte, Siegeszuversicht und Todesbereitschaft beherrschte unseren Kampf … Mochte nun Schukow die Stadt selbst mit den Fäusten halten, es sollte ihn teuer zu stehen kommen, selbst wenn wir sie nur mehr mit Pistolen halten müßten.«
      Hinzurechnen muß man, zumindest bei den Eliteverbänden nicht nur der SS, die ideologischen Überzeugungen sowie den Glauben an Hitler und seine Sendung. Sie alle waren auf verzweifelte Bewandtnisse vorbereitet. Die Vorstellung, in einer Epoche von »Weltenbränden« mit tragischem Ausgang zu leben, gehörte sozusagen zu ihrer Grundausstattung. Zeit seiner Herrschaft hatte das Regime die großen Stimmungsaufschwünge immer wieder durch willentlich eingeleitete, auf »Leben oder Tod« drängende Krisen herbeigeführt. Schon die Folge von Hitlers »Wochenendcoups« im Verlauf der dreißiger Jahre zählte dazu. Aber zur Übereinstimmung mit sich selber waren er und seine Gefolgsleute erst und insbesondere in den mit allem Pomp veranstalteten Todesfeiern während des Krieges gekommen: nach der Niederlage bei Stalingrad etwa mit der in eine Art Untergangsjubel ausbrechenden Rede Görings über die »Nibelungenhalle aus Feuer und Blut« oder dem von Goebbels inszenierten, »in einem Tohuwabohu von rasender Stimmung« endenden Aufruf zum totalen Krieg. Nirgendwo hatten die Machthaber das Land so heimisch zu machen versucht wie in der Nähe zu imaginierten oder tatsächlich drohenden Abgründen.
      Schließlich darf auch der Hinweis auf den Entzauberungsschock nicht fehlen, der zunehmend um sich griff. Jahr um Jahr, bis in die letzten Wochen, hatte der umsichtig errichtete Propagandatrug des Regimes die Bevölkerung über die Wirklichkeit des Krieges getäuscht und selbst die schwersten Rückschläge als Fallgruben für die lediglich numerisch überlegenen Gegner ausgegeben. Jetzt brach das System der Täuschungen unvermittelt zusammen, und wie immer, wenn die Schleier zerreißen und die Realität die Macht zurückerobert, breitete sich eine Stimmung selbstmörderischer Lebensverachtung aus. Hinzu kam eine schwer beschreibbare Angst vor dem Racheverlangen der Roten Armee, in der sich althergebrachte Schreckensvorstellungen über den »barbarischen Osten«, dunkle Ahnungen über das Wüten zahlreicher deutscher Verbände während des Feldzugs gegen die Sowjetunion sowie die Drohbilder der eigenen Propaganda zu Menetekeln verbanden, die unversehens alle Wände bedeckten.
    Antreiber und zugleich Gefangener dieser Politik der
    äußersten Nervenspannungen war Hitler selber, und mitunter stellt sich der Eindruck ein, er habe das Jonglieren auf des Messers Schneide wie eine Droge benötigt. Die raschen Siege über Polen, Norwegen und Frankreich zu Beginn des Krieges hatten ihm nur flüchtige, alsbald schal schmeckende Befriedigungen gewährt, und womöglich war bei seinem Entschluß zum Feldzug gegen die Sowjetunion, den er noch in den Tagen des Triumphs über Frankreich faßte, auch

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