Der Untergang der Götter - Die Rückkehr (German Edition)
gegeben.
Chrenar, der das Verschwinden des Mädchens stumm beobachtet hatte, verzog die Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. Solange er dafür sorgte, dass genug Opfer zur Verfügung standen, war seine Macht gesichert. Und er hatte vor, noch lange der Hohepriester Borams zu bleiben, zu sehr hatte er sich an das berauschende Gefühl der Macht gewöhnt, das damit verbunden war. Solange Thuraan nicht hier weilte, war er, und nur er, der uneingeschränkte Herrscher Borams. Und es war ihm gelungen, in den vielen Jahren der Herrschaft die Stadt vollkommen unter seine Kontrolle zu zwingen, da niemand es wagte, gegen die Götter aufzubegehren. Die Kaste der Priester bestimmte das Leben, sprach Recht und Unrecht, ganz wie es ihr beliebte. Selbst die Wächter standen unter seiner Kontrolle, wenn auch nur widerwillig.
Ein lautes Grollen ertönte, wurde dann leiser und leiser bis es ganz verstummte. Chrenar wusste, was das bedeutete, und auch das stimmte ihn zufrieden. Niemals hatte er in jene Schwärze geblickt, in der das Mädchen verschwunden war, kein Mensch hatte das je getan. Dieser Weg war nur den Göttern erlaubt und er wusste, dass jenseits der Dunkelheit nur eines wartete – der Tod. Vielleicht sogar Schlimmeres.
***
Linan saß müde in einem Stuhl und starrte in das Feuer, das sie soeben in dem kleinen Kamin in der Ecke des Wohnraums entfacht hatte. Das Holz war trocken und so brannte es nach wenigen Augenblicken lichterloh. Rasch griff die Wärme um sich und erfüllte den ganzen Raum, was Linan mit einem zufriedenen Lächeln quittierte, denn am Abend wurde es kalt in Boram, kälter als es für gewöhnlich um diese Jahreszeit war. Sie schaute durch das große Fenster nach draußen und sah die beiden Monde, die am Himmel standen und in rötlichem Licht erstrahlten. Seit sie denken konnte liebte sie diese Monde, stets waren sie ihr ein Trost gewesen, wenn sie traurig oder einsam war. Sie gingen gemeinsam auf und gemeinsam unter, ein Bild ewiger Unveränderlichkeit.
Alle Geschichten, die man sich von ihnen erzählte, waren ihr vertraut, ja sie kannte sie ausnahmslos auswendig, so oft hatte sie sie bereits gehört. Sulfin und Legir wurden sie genannt; sie waren die Kinder der Sonne Faldara , deren Schicksal es war, ihre Mutter niemals wieder zu sehen, gefangen im ewigen Kreislauf von Tag und Nacht.
Linan lächelte. Früher, als sie noch klein war, hatte ihr Vater ihr mit diesen Geschichten die Angst vor der Nacht genommen; dann, wenn draußen außerhalb der Stadt die schrecklichen Geräusche zu hören waren.
Unwillkürlich schauderte sie. Jetzt war sie zwar kein Kind mehr, aber an diese Geräusche hatte sie sich nie gewöhnen können. Jedes Kind lernte von klein auf, dass außerhalb der Stadt der Tod lauerte, dass nur innerhalb der Grenzen Borams ein Überleben möglich war, und auch das nur aufgrund der Götter, die die Menschen vor den Dunklen beschützten.
Ihr Blick fiel auf das Buch, das in ihrem Schoss lag. Es war geschrieben in der Alten Sprache und erzählte von Dingen, die einst waren und nie wieder sein würden. Die Entstehung der Welt, das Auftauchen der Alten Götter, ihr Beherrschen der Magie.
Linan träumte oft davon wie es wohl wäre, über magische Fähigkeiten zu verfügen. In der Alten Zeit hatte es das den Legenden zufolge häufiger gegeben, aber jetzt war dieses Wissen verloren. All ihre Bücher berichteten zwar darüber, aber sie hatte nie einen Hinweis gefunden, wie es zu bewerkstelligen war. Und jetzt waren nur noch die Neuen Götter in der Lage, Magie zu wirken.
»Träumst du schon wieder, mein Kind?«
Czenons Stimme riss Linan aus ihren Gedanken. Sie lächelte sanft und blickte auf zu ihm. »Nein, Vater, ich dachte gerade an meine Kindheit zurück. Das Licht der Monde hat mich daran erinnert, wie so oft.«
Czenon schaute hinaus zu den Monden, deren Schein sich auf Linans Gesicht auf wunderbare Weise spiegelte. Er wusste, wie sehr seine Tochter ihr Licht liebte. Es gab nicht viel Schönes in Boram, doch die Monde gehörten zweifellos dazu. Übergangslos wurde sein Gesicht ernst.
»Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«
Linans Gesicht verlor abrupt ihr Lächeln und sie schaute wieder ins Feuer. Sie wusste, was ihr Vater von ihr hören wollte, doch noch immer hatte sie keine Entscheidung getroffen. Wenn sie noch ein Kind gewesen wäre, hätte er sie einfach mitgenommen ohne sie zu fragen, doch jetzt war es komplizierter, denn sie war alt genug, um ein eigenes Leben
Weitere Kostenlose Bücher