Der Untergang der Götter - Die Rückkehr (German Edition)
Mutter, hatte die gleichen Augen, die gleichen Gesichtszüge.
»Irgendetwas«, begann er zögernd, »irgendetwas geht in Boram vor sich, das ich nicht verstehe.«
»Was meinst du damit?«
Er schnaubte. »Das ist es ja: ich weiß es einfach nicht. Es ist als ob ...«
»Als ob was?«
»... als ob etwas Neues nach Boram gekommen wäre. Etwas Neues … und Gefährliches.«
Linan betrachtete nachdenklich das Gesicht ihres Vaters. Seine Worte verwirrten sie, und das hasste sie mehr als alles andere. Er hatte ihr schon genug Angst mit den Priestern eingejagt, denn selbstverständlich wusste auch sie, nach welchen Opfern es Thuraan verlangte. Sie mochte zurückgezogen leben, aber ahnungslos war sie deswegen noch lange nicht.
»Aber genug jetzt von diesen düsteren Gedanken«, sagte da Czenon unvermittelt und sein Gesicht glätte sich, zumindest soweit es die Falten des Alters zuließen.
»Ich bin sicher, es ist nichts und ich irre mich.« Seine Schultern strafften sich und er wirkte wieder so dynamisch, wie Linan ihn sonst kannte. »Daher solltest du noch ein wenig die Wärme des Feuers genießen, bevor du zu Bett gehst. Ich habe…«
»…noch zu tun«, vollendete Linan lächelnd den Satz.
Czenon lächelte zurück, doch sie war nicht recht überzeugt von seinen Worten. Trotzdem gehorchte sie und setzte sich zurück ans Feuer. Tatsächlich fühlte sie sich auch sofort besser, denn die Wärme durchdrang ihren ganzen Körper und hinterließ ein wohliges Gefühl, das alle bösen Gedanken verdrängte, zumindest für den Augenblick.
Sie hörte, wie ihr Vater die Tür hinter sich schloss und in seinem Zimmer verschwand. Er würde noch stundenlang aufbleiben, das wusste sie, und über irgendwelchen Büchern und Papieren brüten, die sein Zimmer fast zur Gänze füllten. Das hatte er schon getan, seit sie denken konnte, es war, als wären all die Bücher ein Teil von ihm, und anders konnte sie sich ihn gar nicht mehr vorstellen.
Sie seufzte und gab sich ganz der Wärme des Feuers hin, während ihre Gedanken um das schwebten, was ihr Vater gesagt hatte. Noch immer schien das Licht der Monde auf sie hinab und gab ihrem Gesicht eine ganz besondere Farbe.
***
Mela saß in ihrem Stuhl und schaute zum Fenster hinaus, wo der neue Tag langsam erwachte. Viel mehr gab es auch nicht in ihrem winzigen Raum, noch ein Bett und eine kleine Stelle, um sich etwas Essbares zuzubereiten. Mit dem wenigen, was sie in Frerins Schenke verdiente, konnte sie sich nichts Besseres leisten, also war sie dankbar, wenigstens das hier zu haben.
Sie lebte in einem der schlimmsten Teile Borams, dort wo viele der Ärmsten hausten. Aber zumindest war es nicht weit bis zur Schenke und es war gut, nicht durch die halbe Stadt zu müssen, um dorthin zu kommen. Vor allem nicht in der Nacht.
Für einen Moment schweiften ihre Gedanken zu ihren Eltern zurück, die vor kurzem verstorben waren. Sie hatte sie über alles geliebt, doch ihre Krankheiten hatte sie nicht heilen können. Und das Geld für einen Heiler hatte sie ebenfalls nicht besessen. Viel zu früh waren sie von ihr gegangen, und jetzt war sie allein und versuchte so gut es ging zu überleben. Üblich wäre es gewesen, sich von irgendeinem Mann ehelichen zu lassen, aber das wollte sie nicht. Sie wusste nur zu gut, wie ihr Leben dann verlaufen wäre, einem Mann ausgeliefert, der mit ihr machen konnte was er wollte.
Nein, sie schüttelte entschieden den Kopf. Sie spürte, dass das nicht ihr Weg war, dass etwas anderes auf sie wartete. Oder war es nur eine alberne Hoffnung? Der verzweifelte Wunschtraum einer jungen Frau, die sich der Wirklichkeit des Lebens nicht stellen mochte?
Ihre Gedanken verloren sich für eine Weile in undeutlichen Bildern, die sie nur unbewusst wahrnahm, dann aber wurde nach und nach das Bild eines Mannes immer deutlicher, der sie vom ersten Augenblick an beeindruckt hatte. Es war der Fremde, der vor Kurzem so überraschend in der Schenke aufgetaucht war, und der so gar nicht nach Boram passte.
Wo kam er her? Was wollte er hier? Er musste mit den Händlern gekommen sein, anders konnte es gar nicht sein. Allerdings wirkte er nicht wie ein Händler, eher wie ein Mann, der für eine ganz bestimmte Aufgabe hierher gekommen war. Aber was konnte das für eine Aufgabe sein? Boram war die vermutlich trostloseste Stadt im ganzen Reich, zumindest aber die östlichste, denn jenseits von ihr gab es nur das Meer.
War er vielleicht auf der Flucht vor jemandem? Seine Kleidung war
Weitere Kostenlose Bücher