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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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werden und nach ihrem Tod oft Anerkennung finden. Neugier mag in der Natur jedes Menschen liegen, doch Erkenntnis ist nicht das Ziel jedes Einzelnen, denn der Weg dorthin ist oft steinig und einsam. Und der Reiz der Erkenntnis wäre gering, »wenn nicht auf dem Wege zu ihr so viel Scham zu überwinden wäre«, sagt Nietzsche. Und diese Scham steht der islamischen Welt immer im Wege. Weil es im Gründungmythos des Islam keinen Prometheus gab, der das Feuer von den Göttern stahl, gibt es auch keine »faustische Seele«, wie Oswald Spengler es nennt, die einen Prozess der Aufklärung in der islamischen Welt entfesseln konnte.
    Isolation und die lange Betrachtung des eigenen Schattens führt nicht nur zur Selbstverherrlichung, sondern auch zu Paranoia. Jede Kritik von außen wird als Kriegserklärung verstanden; jedes Infragestellen von innen als Häresie, als Verrat gedeutet. Je geschlossener eine Gesellschaft, desto stärker empfindet sie die Außenwelt als feindselig. Der Moralkodex wird strenger, der Druck auf die eigenen Anhänger wächst, um bedingungslose Loyalität zu erzeugen. Physische und intellektuelle Verschleierung werden vorgeschrieben. Die faustischen Gedanken werden erdrückt, ehe sie geboren sind. Eindringlinge und Abtrünnige werden am meisten gefürchtet und angefeindet. Je mehr die geschlossene Gemeinschaft den Einfluss der Außenwelt spürt, desto härter schlägt sie auf die eigenen Mitglieder, die aus der Reihe tanzen. Eine isolierte Gesellschaft lebt von Solidarität, Überwachung und Schweigen und stirbt an kulturellem Inzest. Die großen Schandtaten werden von den Familienoberhäuptern vertuscht und von den Untertanen verdrängt. Jeder, der sich dieser Logik widersetzt, riskiert bestenfalls die Verbannung oder die Verbrennung. Oft bezahlten Reformer in der islamischen Welt ihren Versuch der Umgestaltung mit dem Leben, oft aber kehrten viele von ihnen zur Höhle zurück und legten sich freiwillig die Fesseln wieder an und richteten ihre Blicke auf den Schatten.

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Was ist schiefgelaufen?
oder: Der lange Abschied
vom Morgenland
    M an könnte sagen, der Islam hatte eine leichte Geburt, eine turbulente Kindheit, eine kurze fruchtbare Jugend und eine lange, lethargische Phase des Niedergangs. Der Geschichtsphilosoph Ibn Khaldun schreibt über die Araber, sie seien von ihrer nomadischen Natur her zerstörerisch und besäßen geringe Anlagen zur Kunstfertigkeit. Aber er verehrt auch die Verwandlungskraft des Islam, der streitende Nomaden in eine kulturschaffende Zivilisation verwandelte. Das ist ein Argument, das viele Muslime gegen die Idee der Säkularisierung verwenden. Sie meinen, Europa musste sich von der Herrschaft der Kirche verabschieden, weil die Kirche stur gegen Wissenschaft und Innovation war. Doch der Islam war es, der aus den ungebildeten Arabern erst eine Hochkultur machte, die Europa im Mittelalter in allen Gebieten des Wissens überlegen war. Nur bleibt fraglich, ob diese Blütezeit im Mittelalter tatsächlich allein dem Islam zu verdanken war.
    Die rasante Expansion des Islam wenige Jahre nach seiner Geburt ist der widersprüchlichen, aber effektiven Kombination von mehreren Grundelementen zu verdanken: der Koran als direktes Wort Gottes, ein klares Gottesbild; die Versöhnung von Monotheismus und altarabischen Traditionen; jüdische Gesetzlichkeit und die damit verbundenen klaren Handlungsanweisungen, Stammesbewusstsein und Gemeinschaftssinn, Universalitätsanspruch, der den Dschihad als Dauerzustand sieht. Das Prinzip »Blutsverwandtschaft« der vorislamischen arabischen Stammesgesellschaften wurde durch das Prinzip »Glaube« ersetzt oder ergänzt. Geschickt war, dass der Islam, zumindest prinzipiell, zwischen Arabern und anderen Völkern nicht unterscheidet, sobald sich diese dem Islam unterwerfen.
    Die Grundpfeiler Koran, Gottesbild, Gesetzlichkeit, Stammesbewusstsein, Universalitätsanspruch und Dschihad wurden dem Islam später jedoch zum Verhängnis, denn sie wurden nie neu verhandelt oder transformiert. Diese Prinzipien sind in der Tat für die Disziplin und die Mobilisierung von Kämpfern verantwortlich, die die ersten Siege des Islam möglich machten. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass der Islam zu einem historisch günstigen Zeitpunkt geboren wurde, da die beiden Großreiche, das der Sassaniden im heutigen Iran und das byzantinische Reich, sich seit der Spätantike in Zermürbungskriegen wechselseitig geschwächt hatten. Die beiden Reiche hatten arabische

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