Der Untergang der islamischen Welt
oder Forscher. Sie ließen die Werke der Antike ins Arabische übertragen und nannten die alten Griechen
al
-
qudama’a,
»die Vorfahren«. Auch wenn Juden und Christen als Bürger zweiter Klasse unter dem Islam leben mussten, sah man sie damals nicht als Gefahr, sondern wurde von ihnen animiert und bereichert. Die arabischen Eroberer trafen auf gebildete, hellenisierte Christen und Juden und debattierten mit ihnen über die Natur Gottes und über die Schöpfung. In diesem Zuge entstand die islamische Theologie
Kalam,
die in die arabische Philosophie mündete, die aber nun gar nicht arabisch war.
Da der Koran keine zusammenhängenden Prophetengeschichten erzählt, sondern nur Bruchteile davon, waren es jüdische Interpreten, die mit ihren hebräischen Geschichten,
israeliyat,
eine wichtige Quelle für die Exegese des Korans vorlegten. Die Christen besaßen die »Kultfigur« Jesus, der als Sohn Gottes und Wunderheiler galt. Da Mohamed nie Wunder vollbracht hatte und keinen Märtyrertod gestorben war, sondern an Fieber, konnten Muslime ihn nicht als Pendant von Jesus in die Debatten einbringen. Diese Rolle sollte nun der Koran spielen, als das Wunder Gottes, das Wort geworden war. Obwohl der Koran bereits im achten Jahrhundert für die Denkschule
Mutazila
als erschaffen und nicht als ewig galt, war er ab dem neunten Jahrhundert heilig. Je mehr sich die Muslime von der Zeit des Propheten entfernten, desto unantastbarer wurde der Koran und desto stärker hingen die Muslime an seinen Buchstaben fest; eine Haltung, die die Reform des Islam bis heute verhindert.
Zumal in Krisenzeiten spielte der Koran die zentrale Rolle. Er bot den Muslimen Halt und Trost. Die Kreuzzüge ( 1096 – 1291 ) führten dazu, dass Muslime den eigenen christlichen Minderheiten skeptisch gegenüberstanden und ihnen eine noch höhere Loyalität abverlangten. Bis zum Einfall der Gotteskrieger aus dem Westen war mehr als die Hälfte der Bevölkerung Syriens und Ägyptens noch christlich, da die arabischen Eroberer an ihrer Konversion nicht interessiert waren. Das lag nicht etwa an der Toleranz der Eroberer, sondern am wirtschaftlichen Kalkül, denn Nicht-Muslime hatten höhere Steuern zu entrichten als Muslime.
Während der Kreuzzüge und danach kam es jedoch zu Massenkonversionen, deren genauere Ursachen noch nicht untersucht wurden. Allerdings liegt es nahe zu vermuten, dass diese Konversion zwei Gründe hatte: Zum einen wollten die orientalischen Christen den Verdacht von sich weisen, sie seien Kollaborateure der Kreuzritter, zum anderen führten die andauernden Kämpfe zu einer Schwächung der Wirtschaft, und die Konversion war in Zeiten wirtschaftlicher Not der Versuch, die hohen Steuern zu meiden. Auch wollten die Konvertiten wohl die neuen, verschärften
Dhimmi
-Gesetze für Minderheiten umgehen, die im Zuge der Kreuzzug-Paranoia erlassen wurden.
Mit dem Einfall der Mongolen ( 1258 ) und der Zerstörung Bagdads verhärtete sich die Paranoia in den Köpfen der Muslime. Viele führten die Niederlage auf die Entfernung der Muslime von den Prinzipien des Islam zurück, war Bagdad doch ein liberales Zentrum des Denkens und Lebens, in dem Alkohol, Tanz und Gesang und sogar Häresie geduldet waren. Die islamische Theologie, die auf dem Prinzip
fiqh,
also auf Verstehen, fußte, verengte sich mehr und mehr zu einer stagnierenden, buchstabengetreuen Auslegung des Korans. »Das gesamte Wissen befindet sich im Koran«, das war die neue Geisteshaltung, die die Entfernung der Muslime vom weltlichen Wissen einleitete. Der Glaube sollte wieder gereinigt und von fremden Einflüssen befreit werden. Am Ende standen die Verteufelung der Philosophie, die Unterdrückung der Minderheiten und der Frauen. Und so wurde nicht nur die gesellschaftliche Dynamik gehemmt, sondern auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Nicht-Muslimen beendet. Hinzu kam ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, der die Bedeutung des Nahen Ostens für den internationalen Handel marginalisierte, nämlich die Entdeckung des Seeweges um das Kap der guten Hoffnung im Jahr 1498 durch den Portugiesen Vasco da Gama. Von nun an machten nicht nur die Handelsschiffe einen großen Bogen um die arabischen Gebiete, sondern auch das weltliche Wissen und die neuen Ideen.
Auch die Änderung der Bildungspolitik beschleunigte den Niedergang des Goldenen Zeitalters des Islam. In der Blütezeit unterrichteten die Schulen neben dem Koran auch Mathematik, Philosophie und Medizin, was Forschung und Innovation
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