Der Untergang der islamischen Welt
starke Impulse gab. Vor und nach der Zerstörung Bagdads zerbröckelte das Imperium in kleine Reiche (Seljuken, Fatimiden, Abbasiden und später Mameluken und Safawiden), die sich gegenseitig bekämpften. Jeder Herrscher umgab sich mit Kriegsfürsten und Söldnern, die seine Macht stützten. Diese konnte er aber selten mit barem Geld bezahlen, weshalb er ihre Dienste mit Ländereien oder ganzen Stadtvierteln entlohnte. Das schwächte nicht nur die Bauern, sondern hemmte auch die Bildung. Denn die Kriegsfürsten errichteten in ihren Stadtvierteln zwar Moscheen und Schulen, waren aber an Naturwissenschaft und Philosophie nicht interessiert. Von nun an sollten die Schulen einzig in der Religion unterrichten. Die Lehrer waren bemüht, den Kriegsfürsten als tadellosen Diener des Islam darzustellen, widrigenfalls schloss er die Schule. Loyalität statt Wissen, Verherrlichung statt freiem Denken war der Tenor der neuen Bildung. Diese Haltung ist bis heute der Kern der Bildungsphilosophie in den meisten arabischen Staaten. Von diesem Zeitpunkt an meinte islamische Bildung nur noch die religiöse Indoktrination von Kindern. Auswendiglernen und Einimpfung von realitätsfernen Selbst- und Weltbildern katapultierten die islamische Welt endgültig in die Isolation.
Die Osmanen behaupteten, ihre Eroberungen dienten einzig der Absicht, den Islam zu verbreiten. Das mag vielleicht die türkische Expansion in Europa erklären. Nun war der Nahe Osten allerdings seit dem siebten und dem achten Jahrhundert islamisiert, und dennoch fielen die Osmanen ein, töteten muslimische Glaubensbrüder und eroberten 1516 Syrien und im Jahr darauf Ägypten, bevor sie die gesamte Region kontrollierten. Die vierhundert Jahre währende osmanische Herrschaft über den arabischen Halbmond vom heutigen Marokko bis zur Küste des Persischen Golfes schottete diesen Teil der Welt weiter von der benachbarten europäischen Kultur ab. Die siegreichen Türken verbreiteten sogar noch engstirnigere konservative Ideologien und verankerten ein menschenverachtendes Frauenbild. Die Geschlechter-Apartheid, die ohnehin in der arabischen Stammestradition beheimatet war, wurde nun durch das türkische Harem-Denken weiter verschärft. Als der ägyptische Herrscher Muhammad Ali Pascha ( 1769 – 1848 ) sich in den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts vom Osmanischen Reich lösen und das Land modernisieren wollte, wurde er von den Europäern, vor allem von den Engländern, gestoppt, die sich lieber mit den Osmanen gegen ihn verbündeten.
Während im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts die Philosophie der Aufklärung und technische Innovationen in Europa eine industrielle und eine intellektuelle Revolution anstießen, die das »Abendland« innerhalb weniger Jahrzehnte grundlegend verändern würden, herrschten im Nahen Osten Lethargie und Aberglaube. Parallel zu den tiefgreifenden Entwicklungen im Norden suchte auch auf der arabischen Halbinsel ein Mann das Denken radikal zu reformieren. Muhammad ibn Abd al-Wahhab ( 1702 – 1793 ), der Gründer der Wahhabiten-Bewegung, forderte, alles Unislamische aus Alltag, Gesellschaft und Denken zu verbannen. Er wollte unmittelbar zu den Buchstaben des Korans zurück, alle Nichtgläubigen und sogar muslimische Mystiker sollten bekämpft werden. Geradezu ironisch mutet an dieser puristischen Bewegung an, dass sie ihren Ansatz
tajdid
nannte, also Erneuerung. Das Konzept basierte auf einer Prophezeiung des Propheten, dass Allah den Muslimen alle hundert Jahre einen
mujaddid
schickt, der den Glauben erneuert. Erneuerung bedeutet in diesem Zusammenhang unmissverständlich Reinigung und ein Zurück-zu-den-Wurzeln. Als Muhammad Ali Pascha diese Bewegung zerschlagen wollte, weil sie seinen Modernisierungsversuchen im Wege stand, wurde er von den Engländern daran gehindert. Die britische Krone verbündete sich mit dem Stamm der Saudis; eine in mancherlei Hinsicht unheilsame Allianz, die bis heute andauert.
Ende des 19 . Jahrhunderts fasste die Idee des Nationalismus auch in der arabischen Welt Fuß. Nach dem Vorbild der unter Bismarck erfolgten deutschen Nationalstaatsgründung wollten die Araber einen modernen vereinigten Nationalstaat bilden. Die Ideologie Nationalismus hat zwei Bewegungen geboren, die später Erzfeinde wurden und das Schicksal des Nahen Ostens über hundert Jahre und bis heute wesentlich mitgeprägt haben: In Europa entstand der Zionismus und in der arabischen Welt der Panarabismus. Beide suchten der
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