Der Untergang der islamischen Welt
Stämme als Vasallen für sich kämpfen lassen, die damals modernste Militärtechniken beherrschten. Als Mohamed Arabien einte, waren diese Stämme im Namen der Blutsverwandtschaft zum Islam übergelaufen und brachten diese Techniken mit. Der Islam bot ihnen die Option, nicht für die Großreiche und gegeneinander zu kämpfen, sondern selbst zu einem Großreich zu werden.
In der Tat fielen die beiden Großreiche in vergleichsweise kurzer Zeit durch die Kriegszüge der arabischen Stämme und wurden zum größten Teil islamisiert. Der islamischen Geschichtsschreibung zufolge soll der Prophet Mohamed Briefe an den byzantinischen Kaiser, den ägyptischen Statthalter und den Sassanidenkönig verschickt haben, in denen er sie einlud, zum Islam überzutreten. »Sei Muslim, wirst Du heil!« soll der Inhalt seiner Botschaft gewesen sein. Keine außerislamischen Quellen bestätigen diese »Einladung« oder legen nahe, dass diese Könige Mohamed überhaupt wahrgenommen haben. Anscheinend wollten die muslimischen Geschichtsschreiber lediglich beweisen, dass Mohameds Anliegen nur die Verbreitung seiner Botschaft und nicht die Eroberung war. Es ist bemerkenswert, dass diese historiographischen Werke in der Zeit der großen Eroberungswellen des Islam entstanden. Zu seinen Lebzeiten unternahm Mohamed selbst keinen Versuch, diese Gebiete zu erobern. Er streifte lediglich mit dreißigtausend Mann die byzantinische Grenze, ohne sich in Kampfhandlungen verwickeln zu lassen, um die umliegenden arabischen Stämme, die noch keine Allianzen mit ihm eingegangen waren, zu beeindrucken. Als diese sahen, wie Mohamed aus byzantinischen Gebieten ohne Verluste zurückkehrte, nahmen sie an, dass er Byzanz besiegt hatte, und unterwarfen sich seiner Macht.
Bis zu Mohameds Tod waren die Konzepte von Dschihad und Scharia noch nicht konkretisiert. Auch ein schriftlicher Koran lag erst zehn Jahre nach seinem Lebensende vor. Es waren Mohameds Nachfolger, die in einem rasanten Tempo die Gebiete um Arabien unter ihre Kontrolle brachten. Sie waren es, die den Koran kanonisierten und den Dschihad und die Scharia in einer Weise auslegten, die ihren Herrschafts- und Eroberungsstrategien entsprachen. Keine hundert Jahre nach dem Tod des Propheten war der gesamte Vordere Orient, waren Nordafrika und Andalusien fest in muslimischer Hand. Fraglich bleibt, ob diese Expansion allein dem kriegerischen Geschick der eifrigen muslimischen Kämpfer zu verdanken war oder ob es sich dabei doch um mehrere Faktoren gehandelt hat. Man kann nicht außer Acht lassen, dass der Islam ein Machtvakuum füllte, das das untergehende byzantinische und das sassanidische Reich hinterließen. Dazu kommt, dass die muslimischen Eroberer ihre neuen Untertanen nicht zur Konversion zum Islam gezwungen hatten, solange diese die
dschizia,
die Schutzsteuer, entrichtet haben.
Mit der rapiden Expansion ging sowohl eine wirtschaftliche Blüte als auch ein wissenschaftlicher Umsturz einher, von denen auch die eroberten Gebiete profitierten. Weder die Araber noch der Islam allein waren für diese Revolution verantwortlich, sondern die Vermischung der Nationen im Zuge des islamischen Vormarschs; eine Dynamik, die übrigens auch Alexander der Große, als er den Orient eroberte, kennenlernte. Durch die arabische Expansion trafen die Araber auf reiche Reste alter Kulturen und auf unterschiedliche Religionen, auf Juden und Christen, Syrer und Ägypter, Sabäer und Anhänger Zarathustras, Kurden und Berber, die noch eifriger im Glauben waren als die Araber und sich als wahre Diener des Islam beweisen wollten. Keinem wurde der Aufstieg verwehrt, solange er seine Loyalität zum Islam zeigte. Sogar nichtmuslimische Wissenschaftler, Übersetzer und Handwerker wurden in diesen Prozess mit einbezogen.
Die Verschmelzung tief wurzelnder Kulturen, reich an Weltwissen, mit der arabisch-islamischen Dynamik erzeugte einen ungeheuren Modernisierungsschub im Vorderen Orient. Avicenna, Farabi, Khawarismi, Johannes von Damaskus, Averroes und Maimonides, Hauptprotagonisten dieses Prozesses, waren keine Araber. Es waren auch nicht die Geburtsstädte des Islam, Mekka und Medina, die Wissenszentren dieser Zeit wurden, sondern Damaskus, Bagdad, Bukhara, Kairo und Cordoba. Zwei Eigenschaften hatten die Araber damals, die sie heute verloren haben: Selbstbewusstsein und eine hohe Integrationskraft für das Wissen anderer. Sie hatten keine Berührungsängste mit den Andersgläubigen und nutzten deren Expertise als Übersetzer
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