Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
Vom Netzwerk:
Unterdrückung durch die Europäer zu entgehen, und doch hatten beide diese auch als Vorbild, beide nationalistischen Bewegungen waren vom Sozialismus angezogen.
    Interessant ist die Frage, weshalb es den Zionisten, die zunächst außerhalb des Nahen Ostens agierten und sich damit in einer vermeintlich schlechteren Ausgangslage befanden, gelang, einen funktionierenden demokratischen Staat zu errichten, während das parallel gestartete Experiment der Araber scheiterte. Nun, der arabische Nationalismus baute auf Mythen und Personenkult auf, der Zionismus dagegen verfolgte als Bewegung mehrere Strategien parallel. Der zionistische Gedanke wurde sowohl in den Schriften orthodoxer Juden wie Nathan Birnbaum ( 1864 – 1937 ) und säkularer Denker wie Theodor Herzl ( 1860 – 1904 ) entwickelt. An den zionistischen Kongressen beteiligten sich Journalisten und Rechtsanwälte, Studenten und etablierte Köpfe, Männer und Frauen, was die Vielfalt des zu gründenden Staates von Anfang an betonte. Auf der anderen Seite leiteten nur Männer, die meist im Westen studiert hatten, im Stile eines erleuchteten Führers den nationalistischen Diskurs in Ägypten, Syrien, in der Türkei und auch im Iran.
    Die jüdisch-nationalistische Bewegung unterteilte sich einerseits in den politischen Zionismus, der durch Verhandlungen mit Politikern der Großmächte die zionistische Idee auf die internationale politische Tagesordnung setzte. Nicht nur Österreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich und Großbritannien wollte man vom Recht der Juden auf einen Nationalstaat überzeugen, sondern auch das Osmanische Reich. Herzl besuchte sogar den osmanischen Kalifen in Istanbul, um ihn zu überreden, ein Stück Land in Palästina für die Juden zur Verfügung zu stellen. Andererseits lebte die jüdisch-nationalistische Bewegung im praktischen Zionismus, der die Auswanderung der Juden nach Palästina organisierte und dort Kibbuze gründete, in denen die sozialistischen Ideen in die Tat umgesetzt werden sollten. Ferner existierte als vitale Strömung ein kultureller Zionismus, der dafür sorgte, dass nicht nur die jüdische Tradition nach Palästina importiert wurde, sondern auch die Gedanken der Aufklärung.
    Obwohl die Juden schlimme Unterdrückung in Europa erlitten hatten, sagten sie sich nicht von der geistigen europäischen Tradition los, hatten sie doch selbst daran in einem erheblichen Maße durch ihre Denker und Wissenschaftler Anteil. Auf der anderen Seite verlief das Projekt der Vereinigung der Araber im Sande, da es von Anfang an ohne Plan war und auf Slogans statt Konzepte setzte. In Palästina waren die Zionisten Bauern, Arbeiter und Guerillakämpfer. Doch als Ben Gurion im Mai 1948 den Staat Israel ausrief, ordneten sich alle Untergrundkämpfer der Staatsgewalt unter. Bereits vor der Gründung des Staates hatte Ben Gurion ein Schiff im Meer versenken lassen, das Waffen im Auftrag des jüdischen Untergrundkämpfers Menachem Begin, der später selbst Außenminister und Ministerpräsident des Landes wurde, ins Land zu schmuggeln versuchte. Trotz zahlreicher Kriege und einer permanenten Bedrohung durch die arabischen Nachbarn, entschied man sich für die demokratische Grundordnung und schuf damit die erste Demokratie der Region. Die gleichen Kriege waren es, die die diktatorische Macht der arabischen Anführer immer weiter stärkten und sie zu unantastbaren Despoten machten. »Keine Stimme darf sich über die Stimme der Schlacht erheben«, sagte einst Präsident Nasser von Ägypten, um die kritischen Stimmen im Lande während des Krieges zum Schweigen zu bringen.
    Auf der anderen Seite entwickelten sich die Kibbuze nach der Gründung Israels weiter. Ärzte, Künstler und Professoren beackerten das Land gemeinsam und beharrten nicht auf eine Arbeit, die ihren Qualifikationen entsprach. Dafür erfanden die Zionisten den Begriff
avodah
ivrit
(jüdische Arbeit), um sich von der Stubenhockermentalität der hierarchisch denkenden Araber abzugrenzen: eine diskriminierende, aber effektive Haltung. Auf der anderen Seite bauten die arabischen Herrscher ihre Macht auf Waffen auf und nutzten die Existenz Israels als beständig repetiertes Argument, um die eigene Bevölkerung zu unterdrücken.
    Ich möchte allerdings unmissverständlich klarstellen, dass diese Darstellung freilich nicht als eine Liebeserklärung an Israel oder als eine Ausrede für die israelische Politik in den besetzten Territorien verstanden werden darf. Denn auch die Israelis ließen kaum

Weitere Kostenlose Bücher