Der Untergang der islamischen Welt
aneinandergeschmiedet sind und die die Köpfe und die Herzen vieler Menschen in den islamischen Ländern kontrollieren. Auch wenn die meisten unter diesem System leiden, identifizieren sie immer andere Gründe für ihre Misere. Viele weigern sich sogar zuzugeben, dass es überhaupt ein Problem gibt. Ein ungeschriebenes Abkommen zwischen dem System und seinen Untertanen führt immer zum Status quo.
Die Frauenproblematik in der islamischen Welt ist viel komplizierter als die einfache Formel »Böse Männer unterdrücken arme Frauen«. Es geht eher um ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das von der Mehrheit der beiden Geschlechter geteilt und unterstützt wird. Keiner sorgt mehr dafür, dass Frauen in ihre Schranken verwiesen werden, als die Frauen selbst. Es mag daran liegen, dass ältere Frauen, die selbst dieses Schikanieren erlitten haben, nun den Jüngeren die Freiheit nicht gönnen. Aber auch viele jüngere, gebildete Frauen bestehen auf der traditionellen Rollenverteilung und erwarten vom Mann teuren Schmuck und lückenlose Versorgung. Sie können sich erst emanzipieren, wenn sie den Mann emanzipiert haben; wenn sie ihn von der Last der Männlichkeit befreien. Diese in Not geratene Männlichkeit ist nicht nur der Ursprung der Unterdrückung der Frauen, sondern auch eines der Hauptmotive hinter dem militanten Islamismus.
Im letzten Sommer stieg ich einmal von meinem Lieblingshügel im Olympiapark herunter und beobachtete dabei die vielen Nordic-Walker und Jogger, die mir entgegenkamen. Natürlich hingen auch inaktive Arbeitslose, die sich das Sozialsystem noch leisten kann, im Park herum und genossen ihre Spirituosen. Als ich ganz unten war, kam mir eine Familie entgegen, die ich auf Grund ihres Akzents als Saudis identifizieren konnte. Ein Mann in Shorts und T-Shirt, seine Frau in der schwarzen
Abaya
und Schleier, lange schwarze Handschuhe, die von einem Kilo Gold bedeckt wurden. Hinter ihnen schob ihr unverschleiertes asiatisches Hausmädchen einen Kinderwagen vor sich her. Der Mann starrte auf den Hintern einer jeden Joggerin, die an ihm vorüberrannte, seine Frau schaute sich jedes Objekt der Begierde ihres Mannes verärgert an, sagte aber nichts. Schließlich machte sie ein paar Schritte zurück und fing an, ohne erkennbaren Grund auf das Hausmädchen einzuschimpfen.
Selbstverständlich kann diese Situation in jeder Familie vorkommen, unabhängig davon, ob sie muslimisch ist oder nicht. Doch sie führt uns ein wenig ein in die Dynamik einer arabischen Familie und zeigt die ambivalente Haltung gegenüber dem Westen – Faszination, Skepsis und Verbitterung. Sie sagt uns etwas über die Hilflosigkeit der Keuschheit und die Grenzen der Moral.
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Bildung und Einbildung
oder: Mohamed im Media Markt
S eit über einem Jahrzehnt beschäftigen die Golfstaaten Experten aus Europa und Nordamerika, um ihre Bildungssysteme zu modernisieren. Doch meist waren sie nur an technischer Ausrüstung und visueller Erneuerung der Unterrichtsmethoden interessiert. Über Inhalte lassen die meisten der Staaten nicht mit sich reden, vor allem dann, wenn es um Geschichts- oder Religionsunterricht geht. Dies würde die Grenze ihrer Souveränität verletzen. Die westlichen Experten verstehen das und konzentrieren sich auf Grafiken und Schnickschnack. Und so scheint die Modernisierung in den Golfstaaten wie das moderne Kamelrennen in den vereinigten Arabischen Emiraten: Ein Roboter sitzt statt eines Kameltreibers auf dem Kamel und stimuliert es, schneller zu rennen. Aber wohin? Das schnelle Bauen, die Luxusfassade und die gekauften Kultur- und Sportveranstaltungen am Golf vermitteln vielen die Illusion einer Öffnung. Kunstwerke aus dem Louvre werden nach Abu Dhabi transportiert, aber ähnliche werden dort nicht entstehen, weil der Weg zum Geist dem Louvre in der Wüste versperrt bleibt.
Zwei Dubai-Besuche haben mir in den letzten Jahren gezeigt, dass liberales Denken keine Frage des Wohlstandes sein muss. Ich sah dort eine moderne Form der Apartheid. Abgesehen davon, dass dort die Frauen von dieser Modernisierung kaum profitiert haben, sah ich, wie asiatische Gastarbeiter dort behandelt werden. Mehr als achtzig Prozent der Einwohner Dubais sind Migranten, die unter ganz anderen Bedingungen leben als die einheimischen Araber. Einmal lief ich durch die Altstadt in der traditionellen Golftracht und war erstaunt, dass Migranten immer stehen blieben, als sie mich sahen, um mir den Weg frei zu machen. Sie dachten, dass ich zu den
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