Der Untergang der islamischen Welt
gestern den Hotelgästen im Namen seiner Glaubensfreiheit das Recht auf ruhigen Schlaf nahm, wollte einem Christen sein Recht darauf, Alkohol zu trinken, absprechen.
Nachdem die Konferenz vorbei war, ging ich mit meiner Frau zum Media Markt. Dort trafen wir auf einige Konferenzteilnehmer, auch auf Professor Mohamed. Er stürmte zu mir und wollte, dass ich ihm helfe, den allerneuesten iPod zu kaufen. Er wollte den gesamten Koran darauf abspeichern. Ich suchte einen für ihn aus und sagte: »Wissen Sie, dieser iPod kam zustande, weil jeder hier Bier trinken kann, wann immer er will.« Der promovierte Erziehungswissenschaftler schaute mich fragend an. Natürlich hatte er es nicht verstanden.
Wafaas Vater, der fromme Erziehungswissenschaftler und die Mehrheit der Ägypter beschweren sich über die politische und wirtschaftliche Lage des Landes. Im Prinzip wünschen sich alle eine umfassende politische Veränderung des Systems. Doch kaum einer von ihnen wäre auf die Idee gekommen, dass er selbst das System ist. Viele denken, Demokratie sei eine von oben durchführbare Regulierung. Sie können nicht begreifen, dass die Verfassung, die freien Wahlen und der Parlamentarismus nur Symbole der Demokratie sind und dass die Seele der Demokratie in der Geisteshaltung der Menschen und in ihrem Common Sense liegt. »Der freiheitlich säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er nicht garantieren kann«, schrieb der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde. Wie kann Demokratie eine politische Realität werden, wenn der Vater zu Hause, der Lehrer in der Schule und der Polizist auf der Straße sich wie Gott und Herrscher benehmen? Die Sprache, durch die all diese Menschen die Welt begreifen, ist die autoritäre Sprache. Kultur wird als ein nicht verhandelbares geschlossenes Gebäude verstanden, deshalb wird sie oft mit Gewalt in die Köpfe und Körper der Menschen eingepflanzt. Danach wird die Wahrnehmung der Menschen wie mit Lehm überzogen, so dass sie nur den Ausschnitt der Welt sehen, der nicht von den Scheuklappen der Dogmen verstellt ist. Daraus entsteht ein Teufelskreis der Gewalt, in dem jeder jeden unterdrückt: Der Staat unterdrückt die Menschen, die Menschen unterdrücken einander, der Lehrer unterdrückt seine Schüler, die Männer ihre Frauen, die Frauen ihre Kinder. Den Kindern bleiben am Ende dieser Kette nur die Tiere.
Bildung sei die Lösung, schreien die Reformer. Aber welche Bildung? Die bloße Alphabetisierung ist keine Garantie für eine Veränderung. Im Gegenteil, die Halbgebildeten und die Indoktrinierten sind wesentlich gefährlicher als Analphabeten, denn sie glauben im Besitz ewiger und absoluter Wahrheiten zu sein. Und solange die Bildung in der islamischen Welt sich nicht von der Religion und von den Ambitionen der politischen Autorität befreit, ist sie eher schädlich als nützlich.
Die Geschichte eines Lehrers aus Alexandrien verdeutlicht, warum Bildung und Autorität in Ägypten unzertrennlich miteinander verwoben sind. In einem regulären Test gab der Gymnasiallehrer Ende 2008 seinen Schülern einen kurzen Text über den »gesegneten Fluss Nil«. Danach stellte er die Multiple-Choice-Frage »Was ist das Gegenteil von gesegnet: A. schmutzig, B. gehasst, C. verdammt?«. Wegen dieser Frage verlor er beinahe seinen Job, er hatte großes Glück und wurde lediglich vom Gymnasial- zum Realschullehrer degradiert. Was war sein Verbrechen? Das Wort »gesegnet« im Arabischen ist auch der Name des Präsidenten Mubarak. Ein häufiger Name, in einem Land, das vom Segen abhängig ist. Die drei Adjektive, die als Gegenteil davon zur Wahl standen, wurden von den Bildungsbehörden als eine hinterhältige Beschimpfung des Präsidenten interpretiert. Aber das war noch nicht das Ende dieses traurigen Witzes. Die offizielle Begründung der Degradierung des Lehrers war, dass eine Schülerin sich angeblich bei den Behörden beschwert hatte, dass diese Frage, die den Präsidenten, das Symbol des Landes, schmähe, sie depressiv gemacht habe.
Vielleicht würde der Präsident selbst nicht so handeln, und diese Geschichte könnte ihm sogar peinlich sein, aber die Behörden haben das Verständnis von Autorität so sehr internalisiert, dass sie päpstlicher als der Papst waren. Kurz danach wurde ein neuer Bildungsminister ernannt. Er war der Sohn des ehemaligen Innenministers des Landes, der als ziemlich brutal galt. Nach einer Rede vor dem Parlament in den neunziger Jahren verwickelte sich dieser
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