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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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sprachbegabt und träumte davon, später wie ihr Onkel in Deutschland zu studieren. Sie unterhielt sich gerne auf Englisch mit mir. Ich versprach ihr, sollte sie weiterhin in der Schule erfolgreich bleiben, würde ich ihr helfen, in Deutschland zu studieren. Doch es kam ganz anders. Ein zweiunddreißig Jahre alter Mann aus gutem Hause sah sie auf dem Weg zur Schule und verliebte sich in ihre schüchterne Kindlichkeit. Sie war gerade vierzehn. Er hielt bei ihrem Vater um Wafaas Hand an. Dieser sagte sofort zu, da er mittlerweile drei andere Kinder hatte und es im Haus langsam eng wurde. Abgesehen davon hatte er selbst meine Schwester geheiratet, bevor sie sechzehn war.
    Eine Frau solle man im frühen Alter heiraten, damit man sie nach seinem Wunsch formen könne, bevor sie eine selbständige Persönlichkeit entwickle. Er war der festen Überzeugung, dass er das Beste für seine Tochter tat. Trotz jungen Alters war Wafaa klug und sensibel, aber sie stand vor der Wahl, ihrer Familie oder ihrem Traum treu zu bleiben. Die Familie ging vor. Sechs Monate später verließ sie die Schule und wurde Ehefrau, ohne Ehevertrag. Denn auch Kindesheirat ist in Ägypten gesetzlich verboten, deshalb musste die Eheschließung mündlich nach islamischem Ritus vollzogen werden. Auch die Nachricht von Wafaas Heirat hatte man mir damals verschwiegen. Dreißig Tage lang musste das Kind Gewalt und Demütigung über sich ergehen lassen, ehe sie aus dem Haus ihres Mannes fliehen und zu ihrer Familie zurückkehren konnte. Ihre Eltern versuchten sie davon zu überzeugen, zu ihrem Mann zurückzukehren, sonst würde man im Dorf über sie lästern, da ihre Ehe nach nur einem Monat scheiterte. Erst als sie ihnen erzählte, dass ihr »Mann« sie jeden Tag schlagen und vergewaltigen würde, ließen sie sie bei ihnen bleiben. Wafaa war schwanger, ihre Mutter auch, zum fünften Mal.
    Es war ein Junge. Auch Wafaas Vater suchte für ihn einen Namen aus: Mohamed, der Gepriesene. Wafaa wollte das Kind beim Amt ordnungsgemäß anmelden, doch das ging nicht. Außereheliche Kinder werden nicht staatlich anerkannt. Nur in diesem Fall greift das Gesetz durch. Nur wenn es zum Nachteil der Frau ist, wird es wirksam. Das Kind erhielt keine Geburtsurkunde. Erst muss der Vater des Kindes eine Erklärung abgeben, dass er der leibliche Vater ist, damit die Urkunde ausgestellt wird. Solange dies nicht geschieht, existiert das Kind für den Staat nicht. Der Vater hatte natürlich von diesem Vorteil Gebrauch gemacht und machte die Anerkennung des Kindes davon abhängig, dass Wafaa zu ihm zurückkehrte.
    Erst als mein jüngerer Bruder sah, dass Wafaas Verzweiflung in eine schwere Depression umschlug, rief er mich in Deutschland an und bat um meine Hilfe. Entrüstet rief ich Wafaas Vater an und fragte ihn, wie oft er denn seine Tochter noch beschneiden wolle. Ich bot ihm an, Wafaa in die Schule zurückzuschicken, und ich würde alle ihre Kosten übernehmen. Doch dies beleidigte seinen Stolz. Ich lebe noch, sagte er gekränkt. Außerdem hätte er Sorgen, dass die Mitschüler Wafaa belästigen würden, da sie nun Mutter und geschieden sei. Mir blieb nur übrig, ihm zu drohen, sollte Wafaa nicht binnen drei Wochen in die Schule zurückkehren, würde ich eine Anzeige gegen ihn wegen Anstiftung zur Kindesheirat erstatten. Nur das schien seinen Stolz wieder einzurenken. Obwohl es Wochenende war, brachte er ihre Papiere am gleichen Tag zum Schuldirektor. Ich rief Wafaa an und gab ihr eine Adresse von einem Frauenheim in Kairo und sagte ihr, sie sollte dorthin fliehen, falls ihre Eltern sie wieder aus der Schule nehmen würden. Ich versuchte ihr zu vermitteln, dass zurück in die Schule zu gehen keine Schande sei, sondern ein Grund zum Stolz. Sie kann dadurch ein Vorbild für junge Mädchen im Dorf sein, deren Ehe früh scheitert. Sie schien es kapiert zu haben und ging mit Selbstbewusstsein in die Schule zurück.
    Bei meinem nächsten Besuch in Ägypten freute ich mich besonders darauf, Wafaa zu sehen. Sie kam ins Haus mit ihrem Kind auf den Schultern. Ich begrüßte sie auf Englisch. Sie antwortete auf Arabisch und wurde sehr ernst. »Ich habe Englisch vergessen«, sagte sie. »Warum? Ihr habt doch Englisch in der Schule, oder?«, fragte ich. Sie schaute ihre Mutter fragend an und sagte: »Ich gehe nicht mehr in die Schule, aber es war meine Entscheidung. Ich habe keine Lust mehr auf die Schule.« Bevor ihr die Tränen kamen, eilte ihr ihre Mutter zu Hilfe: »Wir wollten, dass sie

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