Der Untergang der islamischen Welt
interreligiösen Dialog. Aber was für ein Dialog ist das eigentlich? Seit Jahren boomt diese Dialogindustrie. Immer geht die Initiative vom Westen aus, dann treffen sich Geistliche in klimatisierten Räumen und reden über das gemeinsame Erbe Abrahams und singen Loblieder auf »Nathan den Weisen«. Die tatsächlichen Probleme werden kaum angesprochen, und so kehrt jeder in seine Ecke zurück. Hauptsache, die Fördergelder sind geflossen und die Kameras haben ein paar schöne Bilder eingefangen. Und wenn es jemand wagt, in die Tiefe der Problematik vorzustoßen, wird es sofort emotional, und man fängt an, am anderen vorbeizureden. Der Dialog wird somit sofort zu einem Gerichtsverfahren, wo jede Seite den Finger auf die andere richtet.
Auf akademischer Ebene verläuft der Dialog ähnlich. Auch hier beherrscht die Asymmetrie jeden Versuch der Annäherung. Vor einigen Jahren arbeitete ich am Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. Meine Hauptaufgabe war es, ein Netz von arabischen Erziehungswissenschaftlern, Historikern und Bildungspolitikern zu knüpfen, um die Forschung über die Selbst- und Fremdbilder in den arabischen Schulbüchern anzustoßen. Das Institut hatte lange Erfahrungen auf diesem Gebiet und leistete hervorragende Arbeit für die deutsch-französische Versöhnung und krönte dies mit einem gemeinsamen Geschichtsbuch für die beiden Nationen. Auch mit Polen, Tschechien und Russland wurden konstruktive Schritte in Richtung Geschichtsverarbeitung unternommen. Nur mit dem Nahen Osten hakte es, und das lag nicht am Institut und seiner Expertise, sondern daran, dass die Bildungspolitiker in den arabischen Staaten kaum an einer Annäherung interessiert sind. Auf einer Bildungskonferenz der Arabischen Liga in Kairo und einer UNESCO -Konferenz in Rabat, auf denen ich als Referent anwesend war, zeigten sich die meisten arabischen Teilnehmer nur noch daran interessiert, das Bild des Islam in den europäischen Schulbüchern zu verbessern. Gleichzeitig beharrten sie auf den eigenen Narrativen und sahen sie als Teil ihrer nationalen und religiösen Identität. Nur die wenigsten schienen verstanden zu haben, dass es nicht darum geht, eine Kultur gut- oder schlechtzureden, sondern darum, die Geschichtsnarrativen zu dekonstruieren und nicht als unantastbare Wahrheiten anzusehen. Denn die Narrativen sagen uns weniger darüber, was tatsächlich geschah, erzählen uns aber mehr über diejenigen, die die Texte verfasst haben, wie sie selbst ihre Gesellschaft und ihre Feinde sehen.
Kurz danach war ich für die Organisation einer dieser Konferenzen in Deutschland zuständig. Forscher und Politiker aus Ägypten, Jordanien und Marokko waren anwesend. Einige Konferenzpapiere waren zwar brillant, viele aber apologetisch und belehrend. Ein jordanischer Professor beschwerte sich, dass das Hotel nur drei Sterne besaß und dass das Mittagsbüfett mager war. In den arabischen Staaten würde er überall in den besten Hotels unterkommen, wenn er an einer Konferenz teilnimmt. »Ich würde gerne das Ergebnis einer dieser Konferenzen lesen«, entgegnete ich ihm, und dachte dabei an seine katastrophale Präsentation bei unserer Konferenz, die lediglich aus einer Lobeshymne auf sein Land und seinen König bestand. Auch ein ägyptischer Professor namens Mohamed war dabei, der für die Ausbildung von Lehrern in Kairo zuständig ist, Educator of the Educators sozusagen. Seine größte Sorge war, dass das Fleisch im Büfett möglicherweise nicht islamisch geschlachtet war. Im Hotel wurde ich um vier Uhr morgens durch seinen Schrei aufgeweckt. Er hatte auf dem Flur laut zum Morgengebet gerufen. Erschrocken eilte ich zu ihm und machte ihn darauf aufmerksam, dass die meisten Hotelinsassen keine Muslime sind und dass das, was er tut, gesetzwidrig ist, weil es als Ruhestörung gilt. Zunächst reagierte er gar nicht auf mich und rief weiter zum Gebet. Nachdem er fertig war und ein paar Gäste aus ihren Zimmern strömten, sagte er, dass er nur sein Recht auf Glaubensfreiheit ausübe. Er war tatsächlich davon überzeugt, dass er die Hotelgäste mit seinem Gesang nicht störte, sondern eher beglückte, da sie den Namen Allahs hören dürften.
Am nächsten Abend saßen wir in einem jordanischen Restaurant und aßen Halal-Fleisch. Doch der fromme Mann wollte sich nicht zu uns setzen, weil es Alkohol am Tisch gab. Ein koptischer Professor trank gerade ein Bier, was Mohamed in Rage brachte. Der gleiche Mann, der
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