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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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man trifft immer auf das gleiche Problem. Auch hier muss nicht unbedingt die Religion entscheidend sein, sondern die soziale Lage. Doch die Religion kann ein Faktor in den Revierkämpfen werden, wenn zum Beispiel türkische und marokkanische Jugendliche nicht mehr gegeneinander kämpfen und sich gegen eingewanderte Russen oder Deutsche verbünden.
    Drittens gibt es den
religiösen Avantgardismus
. Die Avantgardisten nehmen generell Abstand von den traditionellen islamischen Vereinen und sehen sich als Vorhut einer politisch-religiösen Revolution. Gerade diese Form scheint für arabische Studenten und deutsche Konvertiten attraktiv zu sein. Haben sie sich einmal von ihrem familiären Milieu entfernt (biographische Wende), isolieren sie sich und werden so eine leichte Beute für radikale Gruppen. Dennoch soll zwischen Tendenzen der Islamisierung und islamistischen Versuchen der Mobilisierung für den internationalen
Dschihad
klar unterschieden werden. In der Tat folgen viele türkische Islamisten in Deutschland der Illusion einer Islamisierung Europas, doch sie scheinen weder ein Konzept noch die Mittel dafür zu haben.
    Einige dieser Organisationen mögen problematisch sein, weil sie manchmal die Integrationsverweigerung fördern und die Absonderung der Zuwanderer unterstützen. Sie profitieren aber vom friedlichen Leben ihrer Mitglieder in Deutschland, wie sie auch von deren Absonderung profitieren, und dies wissen sie sehr wohl zu schätzen. Europa bietet ihnen zudem den Luxus, dort auch extreme Meinungen und Haltungen vertreten zu können.
    Ein arabisches Sprichwort sagt: »Man beißt nicht die Hand, die einem das Futter reicht.« Die militanten Extremisten kommen deshalb selten aus der Mitte der etablierten Organisationen. Doch wenn eine dieser Organisationen ständig von der Islamisierung Europas spricht, aber kaum dahin gehende Schritte unternimmt, kapseln sich einige eifrige Mitglieder an den Rändern von ihr ab, weil sie den Status quo, den diese Vereine vertreten, nicht mehr ertragen. Und so kann man auch diese Organisation für die Radikalisierung verantwortlich machen.

    Die USA haben bekanntlich manches Unheil in der Welt angerichtet. Viele Menschen in Japan, Korea, Vietnam, Chile, Argentinien und Kuba hatten unter der aggressiven Machtpolitik der US -Amerikaner zu leiden, warum aber jagen sich nur Muslime im Kampf gegen die USA und den Westen in die Luft? Von geopolitischen Problemen und Identitätskonflikten sind viele Auswanderer betroffen, aber fast ausschließlich unter den Muslimen drücken sich diese Konflikte in kompromissloser Religiosität oder sogar Gewalt aus.
    Die Ursachen für Gewalt und Terror kann man selbstverständlich nicht alleine auf die Religion und auf den Koran zurückführen. Politische Unruhen, soziale Probleme und die Persönlichkeitsstrukturen der Terroristen dürfen nicht außer Acht gelassen werden.
    Dennoch kann man der Religion in dieser Frage keinen Persilschein ausstellen. Denn erst sie ermöglicht es dem Attentäter, in eine metaphysische Welt einzutreten, die einer kalkulierten politischen Tat eine sakrale Dimension verleiht. Die Bezeichnung der Ungläubigen im Koran als Vieh, das nur essen und genießen könne, entmenschlicht diese und lässt kein Mitleid mit ihnen zu. Die Vorstellung, Teil eines göttlichen Plans zu sein, trennt die Attentäter von der realen Welt und erleichtert es ihnen, alle Brücken hinter sich einzureißen.
    Jeder Mensch in der modernen Welt, der sein heiliges Buch als die wortwörtliche Sprache Gottes bezeichnet, die bindende Handelsanweisungen für den Alltag beinhaltet, gilt als Fundamentalist. Nur bei Muslimen heißt das »gläubig«. Wären die Muslime heute eine kleine Minderheit in der Welt, würde man mit ihnen eher wie mit einer Sekte umgehen. Denn in vielen Punkten, wie zum Beispiel der Vorstellung vom Weltuntergang, unterscheiden sie sich kaum von den Zeugen Jehovas. Dieses absolute Denken macht für Muslime die in Europa vorherrschende Ambivalenz und den allerorten vorzufindenden Relativismus schwer erträglich.
    Aber auch säkulare Muslime sind nicht davor gefeit, irgendwann zum Glauben zurückzukehren. Wer die Biographien der mutmaßlichen Attentäter von New York, Madrid und London daraufhin untersucht, welche Rolle die Religion im Radikalisierungsprozess gespielt hat, stellt fest, dass es sich häufig nicht um Menschen handelt, die ihre Kindheit und Jugend in Koranschulen verbracht haben, sondern um Menschen, die mit dem Westen

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