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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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sehr vertraut sind. Man wird ausfindig machen, dass diese Lebenswege keineswegs arme, zurückgebliebene, ungebildete, unerfahrene und naive Menschen zeigen, die ihr Leben in der religiösen Abgeschiedenheit verbrachten. Sie beschreiben eher Menschen, die vieles erlebt haben, die Wanderer zwischen den Welten waren und die sich wohl hauptsächlich wegen ihrer Verunsicherung und Isolierung radikalen Organisationen anschlossen. Alle hatten unterschiedliche Lebensziele und -perspektiven vor Augen, ehe sie sich zum Schritt in den Terrorismus entschlossen. Die Religion war zwar nicht der Motivationsfaktor ihres terroristischen Handelns; sie wurde aber in einem späteren Stadium zur Hauptlegitimierung dieses Handelns eingesetzt.
    Noch etwas kann man bei ihnen feststellen: Es handelt sich bei diesen Personen häufig um Konvertiten, die die Religion erstmals entdecken, oder es sind Re-Konvertiten, die ihre Religion neu für sich erfinden. Beide Gruppen sind nicht in religiöse Strukturen hineingewachsen, sondern haben nach Enttäuschungen oder Überforderungen explizit Zuflucht bei der Religion gesucht. Konvertiten und Re-Konvertiten scheinen zudem besonders anfällig für übertriebene Religiosität und moralischen Purismus zu sein. Ein mittelalterlicher islamischer Geistlicher, Al-Imam Al-Schafi’i, schrieb einmal: »Ich liebe die Gläubigen, auch wenn ich mit ihnen nichts am Hut habe, und ich hasse die Sünder, selbst wenn ich mit ihnen die Sünden teile.«

    Die Attentäter können natürlich nicht für alle Muslime weltweit repräsentativ sein. Doch an ihnen kann man die Spaltung und kulturelle Desorientierung einer ganzen Generation junger Muslime messen. Die Begeisterung für die westliche Lebensform und der heftige Zuspruch zu modernen Konsumgütern bei gleichzeitiger religiös-ideologischer Indoktrinierung und einer Isolation vom Geist der Zeit schafft die explosive Mischung, die den Terrorismus beflügelt und die ich als Hauptgrund für den Untergang der islamischen Welt sehe. Diejenigen Menschen, die vor der Idee der »Verseuchung« ihrer »wahren kulturellen Identität« zurückschrecken oder die unfähig sind, mit fremden Werten zurechtzukommen, tendieren zu einem Rückzug in die Isolation. Die Konfrontation mit dem europäischen Alltag nimmt rapide ab und die Kräfte der Anpassung schwinden zunehmend. Die innere Spannung bleibt jedoch dieselbe. Menschen, die in diese Enge geraten, sind unfähig, den zunehmenden Druck und die Erwartungen an ihre Person zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Sie ziehen es vor, die Konflikte, die sie zerreißen, auf die Welt um sich herum zu projizieren. Ein konstruierter, imaginärer Islam unterstützt sie mit einer »wütenden Antwort« auf ihre soziale Lage, wie er ihnen auch die geopolitischen Konflikte erklärt, die sie für ihre Situation verantwortlich machen. Wie diese »wütenden Antworten« aussehen können, ist an den Attacken auf New York, Madrid und London deutlich abzulesen. Aber die terroristischen Anschläge von Luxor, Bali, Istanbul, Dar El-Salam, Kairo, Djirba, Karatschi, Bagdad und Kabul zeigen, dass diese Wut auch die islamischen Gesellschaften von innen zerreißt. Man darf nicht vergessen, dass bei über vierzehntausend von Islamisten verübten Terroranschlägen in den letzten Jahren die große Mehrzahl der Opfer Muslime waren.

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Häresie als Chance
oder: Der postkoranische Diskurs
    E in Fallschirmspringer wurde vom Sturm ergriffen und landete auf einem großen Baum in der Wildnis, weit weg von der Stadt. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Doch plötzlich tauchte aus dem Nichts ein gutgekleideter Mann auf. Der in der Patsche sitzende Fallschirmspringer rief vom Baum aus: »Hallo, kannst du mir bitte sagen, wo ich bin?«
    Der Gentleman antwortete: »Selbstverständlich, gerne, du bist auf dem Baum, und du musst runter, viel Glück!«
    »Bist du ein Islamreformer?«, fragte der Mann auf dem Baum.
    »Ja, woher wusstest du das?«, fragte der Passant erstaunt.
    »Erstens sagst du mir, was ich schon weiß, zweitens hilft es mir nicht weiter, und drittens, du nervst!«
    Islamreformer leben davon, dass das Wort
Reform,
vor allem wenn davor das Wort
Islam
steht, in der heutigen Welt extrem sexy klingt. Aber diese Reformer waren über ein Jahrhundert lang nicht imstande, die nötigen Reformen durchzusetzen. Die Unantastbarkeit der Religion stand ihnen immer im Wege und ließ ihre Bemühungen buchstäblich im Sande verlaufen. Wie die religiösen Fundamentalisten

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