Der Untergang der Telestadt
Schweigen. Die vier sahen auf uns, auf Friedrun und mich. Selbst Inge im Monitor blickte in unsere Richtung.
»Was heißt das?« fragte Bruno. Und sein Ton ließ keinen Zweifel, daß er weder für derartige Scherze noch für Geheimniskrämerei einen Nerv hatte.
Ich kam, um äußerste Sachlichkeit bemüht, Friedrun zu Hilfe. »In der untersten Etage des Mitteltrakts – in der Kühlsektion wahrscheinlich – liegen an die zehntausend, wir meinen, menschliche Skelette. Wir, Friedrun und ich, glauben, daß diejenigen, denen diese Skelette einst Stütze waren, dort regelrecht bestattet sind.«
»Rede nicht so geschwollen, Sam!« sagte Carlos. »Berichtet, was ihr angetroffen habt.«
Ich zuckte resignierend die Schultern. »Sag du es, Friedrun.«
Friedrun schilderte knapp und chronologisch.
Dann herrschte abermals Schweigen.
Carlos griff sich einen Rechner, tippte eine Weilchen herum. »Sie müssen sich – wenn unsere Voraussetzung mit den dreitausend stimmt – mindestens einfach reproduziert haben«, stellte er trocken fest.
»Und«, Lisa bebte förmlich vor Wißbegier, »habt ihr – gerade erst Be
stattete angetroffen?«
Friedrun und ich schüttelten den Kopf.
»Aber jetzt – wo sind sie jetzt?« rief Inge. »Ich verstehe das alles nicht.« »Wer versteht das schon«, sagte Bruno.
Wir hielten uns nur noch zwei Tage im Schiff auf. Ein jeder der Crew wollte einen Blick auf die Skelette werfen. Selbst Inge fühlte sich wieder soweit hergestellt, daß wir sie im zeitweiligen Austausch gegen Bruno ins Schiff holten.
Nach dieser Entdeckung fühlten wir uns hilflos und verunsichert. Carlos’ Information, das fremde irdische Schiff sei im Prinzip intakt, es mangele lediglich an Starttreibstoff, den man aber ganz gewiß herstellen könne, änderte nichts an diesem Tatbestand, im Gegenteil, verwirrte weiter…
Am zweiten Tag machten wir noch eine Entdeckung, zwar nicht so bedeutend, sie reihte sich aber in die bisherige Phalanx der Merkwürdigkeiten ein: Das von uns aus der Höhe gesichtete Oval, in dem das Raumschiff lagerte, erwies sich größer als dessen Platzbedarf. Und von der Zentrale aus, die Direktsichtfenster hatte, konnte man vor dem Schiff sehr deutlich einen wesentlich dünneren Baumbestand erkennen. Durch einige Axtschläge gelang es, nahe der Zentrale eine Mannschaftsschleuse freizulegen, so daß wir dieses Gebiet verhältnismäßig schnell erreichten. Der urwüchsige, strotzende Wald hatte sich zwar das Seine wiedergenommen, aber wir brauchten nicht lange, um einhellig festzustellen, was Friedrun aussprach: »Ein Feld!«
Ja, ein Feld fand sich da, durchwuchert mit allerlei Arten der heimischen Flora, aber von oben fiel wesentlich mehr Licht ein als andernorts, und unverkennbar, verkümmert und sehr vereinzelt stand dazwischen Roggen!
Unter der hoch über uns ragenden Bugkanzel des Schiffes lag ein Haufen bizarren Rosts, ehemals eine komplizierte Feldarbeitsmaschine… Im lichten Geäst sahen wir zum erstenmal diese affenbehenden Baumechsen von Kaimanengröße, und wir wurden Zuschauer und konnten diesmal auch filmen, wie eines dieser Tiere von einem grünen Kraken erdrückt und innerhalb weniger Minuten verschluckt wurde. Und wir hatten durchaus den Eindruck, es würden noch einige dieser Echsen in das Ungeheuer hineinpassen; in der Tat versuchte es, mit seinen Armen, die im Gegensatz zu den uns bekannten Meereskraken ohne Saugnäpfe waren, weitere Nahrung zu haschen. Dieses Floratier war ein Zehnbeiner und lief oder rutschte rückwärts. Auf den Filmen nachher stellten wir fest, daß es wie ein Chamäleon die Augen einzeln und um mehr als zweihundert Gon verdrehen und somit trotz seines Rückwärtsgangs nach vorn sehen konnte.
Aber ich muß sagen, so interessant das alles sein mochte, das Rätsel um dieses aufgefundene Schiff beschäftigte uns so sehr, daß wir für anderes kaum die notwendige Aufmerksamkeit aufzubringen vermochten, obwohl das unsere eigentliche Aufgabe gewesen wäre. Die Sache würde sich aufklären, die Erstbesatzung ist registriert… Natürlich haben wir uns weiterhin um die Herkunft des Raumschiffes Gedanken gemacht, haben noch mehr Jahreszahlen gesammelt, alle Herstellungsdaten der Geräte wiesen auf den Abschnitt zweitausendsiebzig bis zweitausendachtzig, das jüngste lautete zweitausendachtundsiebzig. Wenn man danach noch die Bauvollendung ins Kalkül zog, mußte der Start etwa im Jahre zweitausendachtzig gelegen haben, zu einem Zeitpunkt also, in dem sich die
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