Der Untergang der Telestadt
denen war es zunächst ohnehin nicht weit her. Um uns herum türmten sich bereits riesige Stapel von Materialien aller Art. Pausenlos kamen aus dem Leib des Schiffes neue hinzu, und nach einer bestimmten Richtung war der Abtransport bereits im vollen Gange. Es dauerte eine Weile, bevor ich die Kinder im toten Winkel hinter einem Haufen von Säcken einigermaßen in Sicherheit hatte und wir uns langsam ein wenig umsehen konnten.
Wir schwitzten, mir selber klebte jeder Faden am Leib, und einige der Kinder baten weinerlich um Rückkehr ins Schiff. Meine ursprüngliche Absicht, den unversehrten Waldrand zu erreichen und einen ersten Eindruck dieser fremden Welt zu erleben, ging aus zwei Gründen nicht auf: Wir hätten zu diesem Zweck zwei-, dreihundert Meter zurücklegen müssen, auf diesem Untergrund, zwischen den rasenden Maschinen, bewegten Teilen – und dazu völlig unzweckmäßig bekleidet. Und außerdem, sicher der gewichtigere Grund: Einige Leute vom Sicherungskorps verwehrten uns jeden Schritt, der uns vom Schiff weiter weggeführt hätte. Zwei beinahe gleichzeitig eintretende Ereignisse nahmen uns dann ohnehin die Lust für weitere Unternehmungen: Es setzte unvermittelt ein äußerst heftiger Platzregen ein, der sofort das wenige, das noch trocken geblieben war, völlig durchnäßte. Und von gegenüber, dort, wo vom Platz aus eine Trasse in den Wald führte, näherte sich mit penetrantem Geheul und in der zunehmenden Dunkelheit aufreizend und gespenstig blitzenden Lichtsignalen mit Höchstgeschwindigkeit ein Rettungsfahrzeug. Es hielt an der Rampe, auf der sich hektisch, bereits im Wolkenbruch, eine Arbeitergruppe an einem Container zu schaffen machte und dem Fahrzeug den Weg versperrte.
Wie es eigentlich geschah, weiß ich nicht, obwohl ich das Geschehen an der Rampe im Blick hatte, wenn man überhaupt bei diesem Wasserschleier etwas im Auge behalten konnte.
Ich achtete sehr darauf, daß meine Gruppe zusammenblieb. Die Kinder scharten sich ohnehin zu einem Pulk, den ich versuchte, auch eingedenk der Bodengefahren, langsam zum Schiff hin zu dirigieren. Ich schrie mahnende Worte, anders konnte man sich im Wasserrauschen, im Lärm, den noch immer Fahrzeuge und die Arbeitenden verursachten, nicht verständigen.
Ja, es war um uns her eine üble Hektik ausgebrochen, die aus der Sorge um die meist ungeschützt herumliegenden Materialien heraus entstand. Bevor Planen ausgebreitet, über die Stapel gespannt waren, hatte das Wasser gewiß seinen Tribut eingefordert.
Wir näherten uns so dem Personeneinstieg, als ein hundertstimmiger Schrei uns gleichsam erstarren ließ: Noch immer stand das Rettungsfahrzeug heulend und blitzend vor der Rampe. Der Container aber lag schräg zwanzig Meter vor der Auffahrt, und um ihn herum wimmelten geschäftig Leute, schrien und gestikulierten, wiesen den Kran ein, liefen, stürzten. Der Rettungswagen verschwand im Inneren des Schiffes.
Ich kümmerte mich nicht weiter um das Geschehen, sondern versuchte, meine Kinder das letzte Stück Wegs sicher zu führen, atmete erst auf, als ich das Einprasseln der Regentropfen auf der Haut nicht mehr verspürte und die kleinen Plastnoppen des Fußbodens mir einen sicheren Tritt verschafften. Die Kinder rannten in ihre Heimstätten, ungeachtet der Mahnungen, die ich ihnen hinterherrief, denn auch in diesem Personenkorridor herrschte reges Treiben.
An diesem Tag, dem zweiten auf Neuerde, fanden vier von uns den Tod, zwei aus einem Erkundungstrupp, die von einem krakenähnlichen Tier angefallen und erdrückt wurden; zwei erschlug der Container, der sich vom Kranhaken gelöst hatte.
Wir hatten noch mehr Verluste an diesem Tag: Etwa vierzig Tonnen hochwertiger Zemente fielen dem Regen zum Opfer. Selektive Wasserschäden, die etliches unbrauchbar machten, traten an einer Reihe von Baumaterialien auf. Die Krankenstation im Schiff füllte sich, zahlreiche äußere Verletzungen und Brüche mußten kuriert werden.
Das alles warf zurück. Der Rat verabschiedete eine Nachholekonzeption. Die nächsten Tage wurde ein Sicherheitsprogramm realisiert, die Entlade- und Transportvorgänge verliefen langsamer, der Platz wurde begehbarer durch das Auslegen von starken Folien und Blechen. Was mich vom ersten Tag an nicht befriedigte: Wir führten eine Art Notunterricht durch. Anfangs schoben wir Pädagogen Unaufmerksamkeit und Unordnung auf die allgemeine Erregung. Dann aber griffen äußere Ereignisse auf die Schüler über. In meiner Gruppe betraf einer der
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